In Hohenholz in Mecklenburg-Vorpommern, nicht weit von der Grenze zu Polen entfernt, steht eine kleine Dorfkirche, deren unrestauriertes Inneres so richtig schön schaurig aussieht, besonders im schummernden Kerzenlicht: halb beschädigt, kahl, mit nackten Glühbirnen an der Decke und angemoderten Bänken… so beschreibt es Pastor Matthias Jehsert von der zuständigen Kirchengemeinde Retzin-Randow. Der Ort sei sogar schon Leuten aufgefallen, die sogenannte Lost Places filmen, also verwitterte Bauten, sagt er. Wie könnte man so ein scheinbar „gottverlassenes“ Haus nutzen, fragte sich Jehsert lange. Zugleich stellte sich für seine Gemeinde jedes Jahr im Oktober die Frage: Wie gehen wir mit Halloween um?
Viele Kinder folgen amerikanischer Halloween-Tradition
Am 31. Oktober, an dem aus Sicht von Protestanten die Erinnerung an Luthers kirchen- und gesellschaftsumwälzende Thesen im Mittelpunkt stehen sollten, lassen viele Eltern ihre Kinder lieber gruselig verkleidet um die Häuser ziehen – und folgen damit der Halloween-Tradition aus den USA (siehe Infobox). So hatte die Kirchengemeinde Retzin-Randow vor einigen Jahren die Idee: An eben diesem Datum, Reformationstag und Halloween, könnten Kinder und Erwachsene in der Schauerkirche Hohenholz das Gruseln lernen, mit Vorlagen aus der Bibel.
„Anlässlich des Bundesweiten Vorlesetages war uns mal aufgefallen, dass die Erzählstoffe der Bibel viele unerquickliche Schilderungen enthalten, die in den liturgischen Leseordnungen kaum abgebildet sind“, erklärt Jehsert. Und: „Was man nicht bekämpfen kann, muss man adaptieren.“ Seine Gemeinde binde die Halloween-Tradition inzwischen einfach sinnvoll in ihr kirchliches Leben ein: Seit 2017 findet jährlich zum Reformationstag im Rahmen der Kinderkirche die „Biblische Gruselstunde“ in der Dorfkirche Hohenholz statt – mit den „gar greulichsten Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament“.

Die Resonanz: Jeweils etwa 30 Besucher kommen, darunter Familien mit Kindern, Jugendliche und erwachsene Gemeindeglieder aus der ganzen Region, alle verkleidet, erzählt der Pastor. Zauberer, Hexen, Piraten, sogar eine Fledermaus und ein Skelett saßen schon vor ihm in den Kirchenbänken, erinnert er sich. Bei einem Rundgang werden Süßigkeiten gesammelt, für die Lesestunde stellt der Dorfverein „Pro Hohenholz“ eine alte Hammond-Orgel zur Verfügung, mit der die Grusel-Stimmung akustisch verstärkt wird.
“Die Auseinandersetzung mit Angst ist ein seelsorgerliches Thema”
Alles ist eingebettet in einen thematischen Gottesdienst. Beispielsweise ging es einmal um Tiere, vor denen sich manche gruseln, wie Schleiereulen oder Marder. Oder um das Thema „Angst“. „Die Auseinandersetzung mit Grusel, Furcht und Angst ist ohnehin ein eminent geistliches und seelsorgliches Anliegen“, sagt Matthias Jehsert. In der Bibel begegne kaum ein Satz so prägnant und häufig wie „Fürchte dich nicht!“
Vorbereitet wird das Gruselevent vom Pastor, dem Kirchen-Team von Hohenholz, dem dortigen Dorfverein und, wenn möglich, Helferinnen und Helfern von der Kinder-Kirche. In den Lesungen ging es schon um Absaloms Aufstand oder die Seefahrt des Apostels Paulus, weitere greuliche Geschichten gibt es in der Bibel en masse, vor allem aus dem Alten Testament; man denke etwa an Kain und Abel, ganze verwüstete Städte, oder im Neuen Testament an die Geschichte von Johannes dem Täufer, dem schlussendlich der Kopf abgeschlagen wird.
Der Pastor rät: Immer mit einem Gebet “bewaffnet” sein!
Natürlich werden die Zuhörer mit dem Horror nicht allein gelassen, sagt Matthias Jehsert. Es gebe eine kleine Besinnung und Hinweise dazu, wie der Glaube im Alltag bei Ängsten helfen kann, außerdem Lieder von Angst und Mut, Mitmach-Aktionen und einen Mutmach-Segen in freier Formulierung wie „Hab keine Angst!“, „Verborgen blinkt ein Zeichen“ oder „Ein Name schützt dich, wenn du weitergehst.“ Oder es werde ein Bibelwort aus dem Römerbrief zitiert: „Ich bin ganz sicher, dass nichts uns von seiner Liebe trennen kann: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen noch andere gottfeindliche Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Himmel noch Hölle.“
Der Geistliche selbst hat durch diese Gruselabende schon viel lernen können, sagt er: Etwa, dass man sich nach 18 Uhr besser nicht mehr auf Friedhöfen herumtreibt, weil es da spuken könnte. Sein Tipp: Für solche Fälle sollte man immer mit einem Gebet „bewaffnet“ sein.
Am Freitag, 31.Oktober, um 16.30 Uhr heißt es in Hohenholz an der B 113: „Biowaffen und Verrat – Geschichten aus dem Richter-Buch“.
