Das rosa Kaninchen ist eigentlich nur das flauschige Lieblingsstofftier eines kleinen Mädchens. Es ist aber auch ein Symbol für die Grausamkeit der Nationalsozialisten, die diesem kleinen Mädchen nichts gönnen, nicht einmal das Kaninchen. Für Judith Kerr, die deutsch-britische Kinderbuchautorin und Zeichnerin, war ihr Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ ein Weg, die Geschichte ihrer jüdischen Familie aufzuarbeiten und für ihre Kinder zu bewahren. „Ich hätte nie solche Bücher geschrieben, wenn wir nicht Flüchtlinge gewesen wären. Ich wollte das für meine Kinder schreiben, wie das damals war. Und auch an meine Eltern erinnern.“ Am 14. Juni wird Kerr 95 Jahre alt.
Kerr wurde 1923 in Berlin als Tochter des jüdischen Theaterkritikers und Schriftstellers Alfred Kerr und seiner Frau Julia geboren. Die Familie lebte in einer Villa im Berliner Stadtteil Grunewald. Ihr Vater war ein einflussreicher Schreiber in Deutschland bis zur Machtergrei-fung der Nationalsozialisten. Seine Werke wurden binnen kürzester Zeit auf die Liste für die Bücherverbrennung gesetzt. Dank eines Tipps von einem Polizisten gelang ihm Anfang 1933 rechtzeitig vor einer Verhaftung die Flucht aus Deutschland. Wenig später kam seine Familie nach.
An ihre Kindheit denkt seine Tochter trotz des Krieges und der späteren Flucht positiv zurück. Sie habe gute Eltern gehabt, und obwohl diese sehr gekämpft hätten, habe sie nur wenig von der Unsicherheit mitbekommen, erzählte Kerr in einem Interview. Manchmal komme es ihr ein wenig ungerecht vor, dass sie ein so glückliches Leben gehabt habe. Sie habe erst spät herausgefunden, wie sehr ihr Vater im Exil gekämpft habe, um seine Familie durchzubringen. Das härteste war es wohl für ihn, seine geliebten Bücher zu verkaufen.
Die Familie floh über die Schweiz und Frankreich weiter bis nach Großbritannien, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Zunächst lebten sie aber unter sehr ärmlichen Verhältnissen in einem kleinen Hotelzimmer. Kerr besuchte später die Central School of Arts and Crafts. Anschließend gab sie Zeichenkurse für Kinder aus armen Familien.
Mit dem Kennenlernen ihres Mannes Thomas „Tom“ Nigel Kneale habe sich ihr Leben verändert. Wenige Jahre zuvor hatte sich ihr Vater nach einem Schlaganfall mit Tabletten das Leben genommen. Tom habe sie ermutigt, sich bei der BBC als Erstleserin von Manuskripten zu bewerben und darüber sei sie selbst zum Schreiben gekommen. Eigentlich sei sie aber Bilderbuchautorin und Zeichnerin. „Das ‚Rosa Kaninchen‘ habe ich nur geschrieben, weil mir die Geschichte eben passiert ist.“
Kerr veröffentlichte zahlreiche Bilderbücher, die ihr in Großbritannien große Bekanntheit verschafften. In Deutschland sind indes vor allem die drei Bände ihrer Familiengeschichte aus den 1970er Jahren bekannt, angefangen mit „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, das 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis als „herausragendes Kinderbuch“ ausgezeichnet wurde, gefolgt von „Warten bis der Frieden kommt“ und „Eine Art Familientreffen“. Die Trilogie erzählt die Geschichte und das Heranwachsen der neunjährigen Jüdin Anna.
Sie selbst sei 1953 das erste Mal nach dem Krieg nach Deutschland und nach Berlin zurückgekehrt, so Kerr. Ihre Mutter habe damals noch dort gelebt, und sie habe ihr gemeinsam mit ihrem späteren Mann Tom von der baldigen Hochzeit berichten wollen. Es sei für sie ein Triumphgefühl gewesen, da die Nazis nicht mehr in Deutschland gewesen seien. „Ich dachte, Gott sei Dank existieren die Nazis nicht mehr.“ Zugleich wollte sie rasch wieder in ihre neue Heimat, England, zurück.