Das katholische Osteuropahilfswerk Renovabis engagiert sich seit über 30 Jahren in den Ländern Osteuropas. Was nach Ansicht von dessen Chef der Ukraine-Krieg für die EU bedeutet und warum Aufarbeitung wichtig wäre.
Nach den Worten von Renovabis-Chef Thomas Schwartz muss sich Europa angesichts des Kriegs in der Ukraine stark machen gegen Staatsterror und feindliche Handlungen. “Das ist mit hohen Kosten und Opfern verbunden”, sagte der Hauptgeschäftsführer des katholischen Osteuropahilfswerks der in Würzburg erscheinenden Wochenzeitung “Die Tagespost”. Allerdings sei die Frage, ob eine solche Herausforderung zu schaffen sei in einer Gesellschaft, die das persönliche Opfer fast verlernt habe.
Schon in der Zeit der Pandemie sei deutlich geworden, wie schwer es sei, krisenresilient zu werden, gab der Priester zu bedenken. Dabei sei die Pandemie im Vergleich zum russischen Angriffskrieg, der jetzt eine existenzielle Belastung für die Ukraine und eine Bedrohung für ganz Europa darstelle, eher eine Kleinigkeit. Schwartz räumte ein, keiner hätte gedacht, dass ein Machthaber wie Putin es wagen würde, sein ganzes Volk in einen Krieg zu stürzen. Nicht nur die Ukraine, auch die Russische Föderation sei betroffen. Hunderttausende Menschen litten an Leib und Seele.
Zugleich gebe es in den europäischen Demokratien, besonders bei Transformationsprozessen, eine Neigung, denen zu folgen, die einfache Wege zu gehen versprächen, erinnerte Schwartz. “Das ist eine Chance für jeden populistischen Politiker und jede nationalistische Partei: Sie punkten, wenn Menschen meinen, zu Opfern zu werden.” Dabei gehe es heute allen osteuropäischen Ländern, die den Weg in die EU gefunden hätten, deutlich besser als vor 30 Jahren.
Weiter erinnerte der Renovabis-Chef, dass im Kommunismus eine Aufarbeitung der eigenen Täter- und Opfergeschichte in den Ländern Osteuropas oft nicht möglich gewesen sei. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seien aber anstrengend und erforderten Kompromisse. Das überfordere mitunter. In einigen Ländern sei die Vergangenheit kaum bewältigt worden. Das gelte etwa für Albanien, “wo Täter und Opfer heute noch nebeneinander leben, ohne dass über die Gräuel geredet wird”, sagte Schwartz. Das führe zu einer neurotischen Situation. Dazu kämen die alten korrupten Seilschaften in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Gut gelaufen sei es im Baltikum, wo der Kommunismus aus dem nationalen Denken heraus überwunden worden sei, sagte der Renovabis-Chef. Viele Staaten Mittel- und Osteuropas hätten es aber versäumt, die Menschen stolz auf das zu machen, was sie nach der Wende 1989/90 demokratisch und ökonomisch erreicht hätten: “Ein Land das mit sich im Reinen und stolz auf das Geleistete ist, wird nicht nationalistisch.”