Vor wenigen Tagen, am 10. Februar, griffen die Streitkräfte Russlands die Großstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine mit Drohnen an. Die Russen setzten ein Öllager in Band. „Das Feuer griff auf nahe gelegene Häuser über, und die örtlichen Behörden berichteten von mehr als 50 Opfern“, schrieb kurz darauf das Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.
Unter den Opfern befanden sich ein Ehepaar mit seinen drei Kindern, sieben Jahre, drei Jahre und zehn Monate jung. Sie konnten laut einem Agenturbericht nicht mehr aus der brennenden Wohnung flüchten und starben. Die Tragödie der Familie ist nur eine von vielen Leidensgeschichten, die Russlands Angriffskrieg über die Ukraine gebracht hat. Vor genau zwei Jahren, am 24. Februar 2022, überfielen Moskaus Truppen in einer großangelegten Operation das Nachbarland.
Nun ziehen die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen eine Zwischenbilanz des schlimmsten Konflikts in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg: „Die Eskalation im Jahr 2022 hat eine ganz neue Dimension von Tod, Zerstörung und Verzweiflung ausgelöst“, urteilt der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths mit Blick auf den Angriffsbefehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Insgesamt erfassten die UN-Ermittler seit Beginn der Großinvasion des Kremls vor zwei Jahren bis zum 7. Februar 2024 mehr als 10.000 getötete und knapp 20.000 verletzte Zivilisten in der Ukraine, wobei die tatsächliche Opferzahl weitaus höher liegen dürfte.
Unter den Toten und Versehrten befinden sich auch Opfer russischer Kriegsverbrechen. Es sind Ukrainerinnen und Ukrainer, die von Moskaus Besatzungstruppen gefoltert, vergewaltigt, erschlagen oder willkürlich erschossen wurden. „Das Ausmaß der Kriegsverbrechen in der Ukraine ist unüberschaubar“, sagte Erik Møse, der Vorsitzende der Ukraine-Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates bereits im vergangenen Jahr. „Wir können nicht alle Verbrechen dokumentieren“, hielt der norwegische Jurist resigniert fest. Er und sein Team tragen seit 2022 Beweise für schwere Straftaten zusammen.
Die größte Blutspur hinterließen die Russen mit dem Einsatz von Explosivwaffen wie Artilleriegeschossen, Raketen, Panzergranaten und Streumunition. Eine Frau aus Charkiw schildert einen Angriff mit Explosivwaffen am 23. Januar. „Mein Mann zog mich vom Fenster weg und wir wurden von der Druckwelle mehrere Meter zurückgeschleudert.“ Das Gesicht ihres Ehepartners sei mit Schnittwunden entstellt und blutüberströmt gewesen. „Als wir uns umdrehten, war die Hälfte unseres Hauses weg“, erinnert sich die Ukrainerin.
Dass die Menschen der ständigen Angst und Lebensgefahr in ihrer Heimat entkommen wollen, ist leicht nachvollziehbar. Putins Krieg trieb in den vergangenen zwei Jahren Millionen Menschen in die Flucht. Gemäß den letzten Zahlen des Hilfswerks UNHCR suchen derzeit knapp sechs Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine Schutz und Sicherheit im Ausland. Innerhalb der Ukraine irren knapp vier Millionen Vertriebene umher.
Viele der Binnenflüchtlinge können sich nicht selbst versorgen. Um zu überleben, sind sie auf Essensrationen, Wasser, Medikamente von Hilfsorganisationen angewiesen. Insgesamt benötigen nahezu 15 Millionen Menschen in der Ukraine Unterstützung. „Die humanitäre Lage im Land ist dramatisch“, fasst der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, nach seinem jüngsten Ukraine-Besuch zusammen.
Besonders schmerzhaft ist das Schicksal der 23.000 Vermissten im Ukraine-Krieg – für die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen. „Nicht zu wissen, was mit einem Angehörigen geschehen ist, ist qualvoll. Das ist die tragische Realität für zehntausende Familien, die in ständiger Sorge leben müssen“, erklärt Dusan Vujasanin, Leiter des Zentralen Suchdienstes des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz für den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. „Die Familien haben das Recht, zu erfahren, was mit ihren Verwandten geschehen ist.“