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Publizistin Juliane Löffler schreibt Buch über #MeToo und Medien

Wie können Medien über Machtmissbrauch und Sexismus berichten, gegen die Beharrungskräfte in Gesellschaft und eigener Branche? Darüber sinniert “Spiegel”-Journalistin Juliane Löffler in ihrem neuen Buch.

Es ist der Mann im Zug, der seinen breitbeinigen Sitz immer deutlicher dazu nutzt, um diverse Körperteile an seiner Sitznachbarin zu reiben. Der Chef, der seiner Auszubildenden anzügliche Nachrichten in Sozialen Netzwerken schickt. Der Mann, der auf einer Feier einer Frau mehrfach an den Po fasst.

Situationen wie diese sind für Frauen in Deutschland Alltag. Beinahe jede kann aus dem Stegreif minutenlang referieren, was ihr selbst oder Bekannten zu Hause, am Arbeitsplatz, im Zug, auf Partys, im Fußballstadion, im Showbusiness oder auf der Straße so alles passiert ist.

Die Bandbreite reicht von sexistischen Kommentaren über Benachteiligung bis hin zu Belästigung und Vergewaltigung. Dass all das keine unterschiedlichen Phänomene, sondern die verschiedenen Ausprägungen an unterschiedlichen Enden eines Spektrums sind, macht Juliane Löffler in ihrem Buch “Missbrauch, Macht & Medien: Was #MeToo in Deutschland verändert hat” deutlich. Das Buch widmet sich der Bewegung hinter dem Hashtag #MeToo, mit dem vor allem Frauen seit einigen Jahren in sozialen Netzwerken darauf aufmerksam machen, wie viele von ihnen von Machtmissbrauch betroffen sind – meistens durch Männer.

Löffler ist eine der renommiertesten Berichterstatterinnen, wenn es um Fragen von Gewalt gegen Frauen und queere Menschen geht. Ihre berufliche Biografie liest sich wie ein Zeugnis davon, wie #MeToo immer weiter in die Mitte der Gesellschaft und damit in die Aufmerksamkeit der Menschen gerückt ist – nicht immer ohne Gerumpel.

Eine Geschichte aus Löfflers Feder, die für besonders viel Aufsehen gesorgt hat, handelte vom ehemaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt, dem mehrere Frauen Machtmissbrauch vorgeworfen hatten. Für Ippen hatte Löffler gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ausführlich dazu recherchiert. Was dann geschah, zeigt die Hürden, die Berichterstattung über Machtmissbrauch in Deutschland immer noch zu nehmen hat: Denn Verleger Dirk Ippen verbot kurzerhand die Veröffentlichung der Recherche in seinen zahlreichen Zeitungen.

Wieder einmal entscheide ein Mann, dass die Stimmen der betroffenen Frauen nicht wichtig genug seien, um gehört zu werden, zitiert Löffler eine ihrer Quellen, die sie nach der Entscheidung des Verlegers anrufen musste – die “bittersten Stunden” ihres bisherigen Berufslebens. Die Recherche erschien später im “Spiegel”.

Dem Fall Reichelt steht in jedem Fall ein prominenter Platz im Schaufenster zu, das die Problemlage der #MeToo-Berichterstattung ausstellt. Da wäre zunächst die erschütternde Häufigkeit, mit der Frauen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind – und mit der auch Männer von Machtmissbrauch betroffen sind. Da wäre die Rücksichtslosigkeit des deutschen Justizsystems und der Ermittlungsbehörden, die Betroffene nicht ernstnehmen, sodass selbst bei Vergewaltigungen nur ein Bruchteil der Täter verurteilt wird.

Und da ist die Reaktion der Öffentlichkeit auf Anschuldigungen, vor allem gegen prominente Beschuldigte wie Julian Reichelt, Luke Mockridge, Dieter Wedel, Till Lindemann oder Jerome Boateng. Betroffene müssen sich vorwerfen lassen, Vorwürfe erfunden zu haben, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Viele sind inzwischen bereit, systemische Probleme anzuerkennen. Doch in Einzelfällen fehlt vielen immer noch die Fantasie, dass derartige Ungeheuerlichkeiten im eigenen Umfeld zu finden sind, dass gar das eigene Idol sich übergriffig verhalten habe.

Juliane Löffler hat ein Buch geschrieben, durch das man kaum ohne Wuttränen hindurch kommt. Das liegt keineswegs an einer Gefühlsduselei der Autorin. Bei der Aufarbeitung bleibt sie möglichst objektiv, immer faktengebunden. Sie weist auf Unstimmigkeiten hin, gewährt einen Blick auf die Perspektive der verschiedenen Akteure, die bei #MeToo-Fällen eine Rolle spielen. Sie macht transparent, dass vieles nicht eindeutig ist und von gesellschaftlicher Aushandlung abhängt, dass Medien auch Fehler bei der Berichterstattung über Machtmissbrauch machen können.

Wie kann so ein Buch trotzdem Mut machen? Es hat ein emanzipatorisches Moment – wie die gesamte #MeToo-Bewegung. Es vermag, die Mauer zu durchbrechen, die zwischen Betroffenen gezogen wird. Viele Betroffene erkennen sich in den Geschichten von anderen wieder und begreifen so das System. Das kann die Sorge um eine mögliche eigene Mitschuld mindern.

Klar ist: Weiterhin geschehen furchtbare Dinge, auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Heimlich, still und leise schleichen sich aber, oft unbemerkt vom sensationsheischenden Blick der Medien, die positiven Geschichten ein. Männer, die Jahre nach einer Situation nachfragen, ob ihr Verhalten übergriffig war, weil sie durch gesellschaftliche Debatten ins Grübeln gekommen sind. Arbeitgeber, die Präventionskonzepte etablieren, um Machtmissbrauch zu verhindern. Oder mutige Frauen, die trotz aller Hürden weiter den Weg in die Öffentlichkeit suchen, um auf Missstände aufmerksam zu machen.