Diskussionen in Wissenschaft und Kultur sind seit dem 7. Oktober oft vergiftet. Was kann man dagegen tun? Und haben sie überhaupt Auswirkungen auf die Lage in Israel und Gaza? Ein Podium in Bonn suchte nach Antworten.
Die Publizistin Carolin Emcke sieht das Gespräch zwischen Menschen unterschiedlicher Meinungen bedroht. Es sei schlimm, wenn Kontroversen nicht geführt werden könnten, weil bei Veranstaltungen Leute ausgeladen würden, sagte Emcke am Dienstagabend in Bonn. Sie selbst setze auf die Kraft der Argumente und habe Sorge, dass darauf allgemein nicht mehr vertraut werde. Daher: “Bringt uns zusammen, die wir nicht übereinstimmen.” Emcke betonte zugleich, dass Debatten Regeln unterlägen, also zum Beispiel ohne Aggressionen und mit gegenseitigem Zuhören geführt werden müssten.
Sie sagte, dass das Verstehen von Sachverhalten und Begriffen eine langsame Arbeit sei. Auf diesem Weg sei mitunter eine “tapsende, sich selbst korrigierende Sprache” nötig. Mitunter brauche es auch erst einmal nicht öffentliche, geschützte Räume, um sich zu artikulieren. Emcke äußerte sich auf einer Veranstaltung der Bundeskunsthalle in Bonn über Kunst und Kultur nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober in Israel. Die Reihe trägt den Titel “A Mentsh is a Mentsh”.
Die Künstlerin Hito Steyerl verwies auf das, was viele Jüdinnen und Juden in Deutschland nach dem Terroranschlag beklagen: “Wir sehen derzeit ein sehr lautes Schweigen.” Seit dem 7. Oktober seien in der Kunstwelt “Cancelismus” und “Boykottismus” von Menschen und Meinungen zu beobachten. Vielfach drehe man sich im Kreis, und es scheine kaum Erkenntnisgewinn zu geben, wenn es oft ausschließlich darum gehe, wer wann was sagen dürfe. Manche Personen profitierten davon. Debatten seien vielfach blockiert, und man müsse darüber nachdenken, wie wieder Diskussionen und Räume ohne Aufhetzung möglich würden.
Keine der jüngsten Debatten hierzulande habe dazu geführt, die Lage der Menschen vor Ort zu verbessern, kritisierte Steyerl mit Blick auf den 7. Oktober. Im Zusammenhang mit konkreten Handlungsoptionen erinnerte der in den USA lehrende Wissenschaftler Omer Bartov daran, dass Deutschland ein Lieferant von Waffen für Israel sei. Deutschland könne daher eine wie auch immer geartete Rolle spielen. Auch sei die Öffentlichkeit in der Lage, Einfluss auf die Regierung auszuüben. Stattdessen sehe man interne Debatten.
Mit Blick auf das vielfach kritisierte aktuelle Diskussionsklima vor allem auch an Hochschulen sagte Bartov, dass man in der Lehre beim Vermitteln von teils Grundlegendem anfangen müsse und so die Studierenden zu guten und zivilisierten Debatten bringen könne.