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Psychische Gesundheit beginnt in der Kindheit – Ruf nach Prävention

Ängstliche Kinder verletzen sich später eher selbst: Darauf weist eine Psychologin hin. Frühe Hilfe könne jedoch späteren Krisen vorbeugen. Eine wichtige Rolle spielten dafür Familien – aber nicht sie allein.

Zentrale Weichen für die psychische Gesundheit werden in der Kindheit gestellt: Daher fordert die Kinder- und Jugendpsychologin Aleksandra Kaurin vorbeugende Angebote im jungen Lebensalter. Etwa die Hälfte der Bevölkerung entwickle im Lauf des Lebens mindestens eine psychische Erkrankung, sagte Kaurin am Mittwoch beim Deutschen Psychotherapie-Kongress in Berlin. Diese Probleme entstünden nicht aus dem Nichts.

Etwa zwischen dem zehnten und 25. Lebensjahr entwickle sich die Fähigkeit zur Selbstregulation. Wenn Eltern über ihre sieben- bis zwölfjährigen Kinder sagten, dass diese besonders ängstlich oder misstrauisch seien, neigten diese jungen Menschen noch zehn Jahre später eher zu selbstverletzendem Verhalten, erklärte die Forscherin mit Verweis auf Langzeitstudien. Dies zeige, wie prägend sehr frühe Erfahrungen seien.

Entscheidend sei das Umfeld, fügte Kaurin hinzu. Dies betreffe einerseits höchst subtile Muster in Familien: Sogar weniger Blickkontakt bei Gesprächen gehe damit einher, dass betroffene Kinder ein Jahr später eher Suizidgedanken hätten. Andererseits spielten gesellschaftliche Machtverhältnisse eine Rolle. So hätten Studien in den USA gezeigt, dass Psychotherapie für schwarze Jugendliche weniger wirksam sei, je massiver diese rassistischen Erfahrungen ausgesetzt seien. Arbeitslosigkeit oder instabile Wohnverhältnisse beeinflussten die psychosoziale Entwicklung ebenfalls negativ.

Therapeutinnen und Therapeuten müssten Diskriminierung und Ausgrenzung stärker berücksichtigen, mahnte die Expertin. Dies müsse auch in der Ausbildung stärker einbezogen werden.

Bis Freitag nehmen 1.500 Fachleute am Kongress teil. In Zeiten globaler Krisen gelte es, die psychische Belastung vieler Menschen ernst nehmen, sagte Rudolf Stark vom Verbund universitärer Ausbildungsinstitute. Psychotherapie sei kein Luxus, sondern essenziell, “um Resilienz zu fördern, Solidarität zu stärken und eine Gesellschaft zu schaffen, die den Herausforderungen der Gegenwart standhalten kann.”

Ein Schwerpunkt des Kongresses ist die Demokratieförderung: Psychologie könne helfen, gesellschaftliche Dynamiken besser zu verstehen und einer Polarisierung entgegenzuwirken, betonte die Präsidentin der gastgebenden Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Eva-Lotta Brakemeier.