Protest hat viele Gesichter: vom Konzert gegen Rechts über Likes auf Instagram bis zu den Straßenblockaden, über die seit Monaten gestritten wird. Entscheidend ist laut Fachleuten vor allem ein Erfolgsfaktor.
Die Masse macht’s – ein wichtiger Tipp, wenn man etwas bewegen möchte. “Protest ist nur dann erfolgreich, wenn er so viele Menschen mobilisiert, dass es um mehr als einen Feel-Good-Moment geht”, erklärt die Publizistin Yasmine M’Barek. Es sei immer eine entscheidende Frage für die Sichtbarkeit und letztlich den Erfolg eines Anliegens, ob sich genug Menschen angesprochen fühlten und das Gefühl hätten, dass sie etwas bewirken könnten.
Das Wort “Bewegung” drücke dies bereits aus, sagt der Politikwissenschaftler Benjamin Schwarz: “Dass Menschen für eine Sache auf die Straße gehen oder sich etwas anschließen.” Ein nahezu lehrbuchhaftes Beispiel dafür sei die Klimabewegung “Fridays for Future”, die vor gut fünf Jahren ihren Anfang genommen hat. “Es gibt eine Symbolik, es gibt ein Thema, und es gibt ein Bedürfnis danach, es anzugehen.”
M’Barek sieht die Klimabewegung insofern als Sonderfall, als die Zeit bei diesem Thema dränge. Denn: Die Masse allein macht’s häufig doch nicht – was beispielsweise die Debatte um die Pflege zeige. Trotz Protesten verändere sich das System nicht sofort, “obwohl es in diesem Fall um etwas geht, das die Mehrheitsgesellschaft anstrebt”. Im Bezug auf die Klimakrise sei jedoch inzwischen vielen Menschen klar, dass dieses akute Problem “eines nicht allzu fernen Tages nicht mehr lösbar sein könnte”.
Momentan stelle sich jedoch die Frage, wie lange eine Form von Aktivismus, die vor allem störe, sinnvoll sei. “Vertreter von ‘Fridays for Future’ sitzen inzwischen in Gremien, sprechen mit Ministern, kommen in den Medien zu Wort”, so die Autorin des jüngst erschienen Essays “Protest”. Man komme nicht umhin, sich auf andere gesellschaftliche Gruppen zuzubewegen.
Es fehle an positiven Zukunftsvisionen, meint der Sozialpsychologe Julian Bleh. “Das ist sicherlich ein Grund dafür, warum das Gefühl von Hilflosigkeit gegenüber der Klimakrise so stark verbreitet ist”, sagte er im Frühjahr der Zeitschrift “Psychologie Heute”. Nun müsse man Wege finden, über einen “wirtschaftlichen Systemwechsel” zu sprechen, ohne abzuschrecken: “Denn um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten sich Gesellschaft und Wirtschaft von Grund auf wandeln.”
Gelungen sei es sei “Fridays for Future” derweil, das Thema Klimawandel, das vorher weit entfernt schien, “viel konkreter und erfahrbarer” zu machen. Klimapolitische Forderungen seien in der Gesellschaft viel präsenter als noch vor einigen Jahren, sagt Bleh – und: Gruppen machten Menschen handlungsfähig.
Neben einem Gemeinschaftsgefühl braucht es nach Worten von Schwarz auch Erfolgserlebnisse. “Wenn ich mich zum Beispiel mit anderen zusammengetan habe, um einen Radweg in meinem Bezirk zu bekommen, vielleicht Unterschriften gesammelt und sie beim Stadtrat eingereicht habe: Wenn dann der Radweg entsteht, dann ist das eine wertvolle Erfahrung, wie politisch wirksam ich als einzelne Person sein kann.” Ein anderes Beispiel dafür seien die Stolpersteine im Bordstein, die an frühere Hausbewohner erinnern, die zur NS-Zeit ermordet wurden: “Menschen müssen mithelfen, diese Steine zu unterhalten.”
Die Möglichkeiten, sich zu engagieren, sind vielfältig. Es könne auch Protest sein, das eigene Umfeld für ein Thema zu sensibilisieren, sagt M’Barek. “Politische Teilhabe beginnt damit, dass ich mitbekomme, was passiert. Viele Menschen stoßen dabei auf Themen, die sie betreffen oder bestürzen.” Nach ihrer Erfahrung seien viele Menschen durchaus einsatzbereit. Es sei allerdings frustrierend, wenn sich trotzdem zu wenig verändere. “Daher bin ich kein Fan davon, alle Verantwortung auf das Individuum abzuwälzen.”