Der Demokratieforscher Hans Vorländer hält die Abstimmung über das Finanzpaket von CDU/CSU und SPD für Investitionen in die Verteidigung und Infrastruktur zwar für legal, sieht aber ein Glaubwürdigkeitsproblem der Union. Zwar müsse man auf die aktuellen Herausforderungen durch den drohenden Bruch der transatlantischen Sicherheitspartnerschaft reagieren, doch das betreffe nicht die seit Jahrzehnten bekannten Probleme mit der deutschen Infrastruktur. Gerade für die AfD sei das ein „gefundenes Fressen“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Vorländer, aus demokratietheoretischer Perspektive: Wie problematisch wäre es, wenn das von den Sondierungspartnern am Dienstag vorgestellte Finanzpaket noch vom Bundestag der letzten Wahlperiode beschlossen wird? Im neuen Bundestag droht eine Sperrminorität für die notwendige Grundgesetzänderung durch die AfD und die Linke.
Hans Vorländer: Solange ein Bundestag noch im Amt ist, ist das natürlich legal. Ob es legitim ist, steht auf einem anderen Blatt. Durch den Beschluss würde eine Bindungswirkung für die nächste Legislatur, den nächsten Bundestag und eben auch für die folgende Regierung eintreten. Und hier muss man dann schon abwägen. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass angesichts der Verwerfungen in der Weltpolitik, gerade auch nach dem möglichen Bruch des transatlantischen Verhältnisses zu den USA, ein gewisser Handlungsdruck für eine solche Regelung entstanden ist. Wir wissen schlicht nicht, was in den nächsten Wochen noch passieren wird. Diese Notlage träfe dann aber allein für die modifizierte Aufhebung der Schuldenbremse angesichts der Steigerung des Verteidigungshaushaltes zu.
epd: … aber eben nicht für das 500-Milliarden-Sondervermögen für die Infrastruktur.
Vorländer: Das muss man wohl anders bewerten. Das Problem der maroden Infrastruktur ist lange bekannt und begründet keine Notlage, was eine schnelle Beschlusslage im alten Bundestag nicht zwingend macht. Hier ist zumindest Zweifel an der Legitimität erlaubt, zumal das Sondervermögen erst durch die neue Bundesregierung verausgabt werden würde. Das wird also Regierungsprogramm einer Koalition, die noch gar nicht existiert. Wir bewegen uns in der Phase der Sondierungsgespräche. Hier ist etwas im Vorgriff geschehen. Man muss die beiden Sachverhalte unterscheiden und gesondert betrachten.
epd: Wie bewerten Sie ein erneutes Sondervermögen, defacto eine Kreditaufnahme an der Schuldenbremse vorbei? Ist das demokratietheoretisch sauber?
Vorländer: Der Bundestag ist autonom und kann tun und lassen, was er will, solange er sich an die Verfassung hält. Unter verfassungsrechtlichem und demokratiepolitischem Gesichtspunkt werden hier aber in unzulässiger Weise nachfolgende Generationen belastet. Sondervermögen finden außerhalb des ordentlichen Haushaltsverfahrens des Bundestages statt. Sie entziehen sich der Gestaltbarkeit des Parlamentes, weil sie in der Verfassung verankert werden. Das ist ein demokratietheoretisches, demokratiepolitisches und verfassungsrechtliches Problem.
epd: CDU-Chef Friedrich Merz hatte zuvor mehrfach eine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen. Hat er seine Wähler getäuscht?
Vorländer: Auch Glaubwürdigkeit ist ein demokratiepolitisches Gut. Wenn CDU und CSU etwas vor der Wahl ausschließen, damit Wahlkampf machen und sich dann innerhalb von einer Woche nach der Wahl nicht mehr daran gebunden fühlen, kann man von Wählertäuschung sprechen. Aber auch hier gilt es, die aktuelle Situation, ausgelöst durch Trumps Interventionen, zu beachten. Eine solche Krise zwingt zu schnellem Handeln. Bei der Infrastruktur-Pauschale sieht das anders aus. Das ist der Bruch eines Wahlversprechens. Hier hat die Union vor der Wahl erklärt, dass sie erstmal den Haushalt auf Kürzungsmöglichkeiten überprüfen wolle und sich erst im Anschluss der Sanierung der Infrastruktur und deren Finanzierung auseinandersetzen wolle.
epd: Die SPD hat dieses Problem nicht.
Vorländer: Nein, die Sozialdemokratie hat schon unter der Führung von Scholz genau das angestrengt, konnte es aber in der alten Koalition nicht erreichen. Insofern ist das für die SPD eher eine Erfolgsprämie die schon vorab an sie ausgezahlt wird. Für die Union lässt sich das nur noch im Nachhinein rechtfertigen, wenn die Mittel für die Infrastrukturmaßnahmen sinnvoll, begründbar, transparent und priorisiert verausgabt werden und sich dadurch auch die Situation der Wirtschaft verbessert. Es handelt sich um einen Deal: Die Sozialdemokratie willigt in die Aufrüstung der Bundeswehr mit einem Milliardenvermögen in unbegrenzter Höhe ein. Dafür bekommt sie womöglich das, was sie immer schon haben wollte, ein Sondervermögen für die Infrastruktur – ohne sich zuvor Kürzungsdebatten im Bundeshaushalt, auch in den Sozialleistungen, aussetzen zu müssen. Übrigens: Sinnvoll erscheint, dass die Schuldenbremse für die Länder verändert werden soll; die Länder brauchen Geld, und so wird ihre Zustimmung sichergestellt.
epd: Die FDP wird der Verfassungsänderung höchstwahrscheinlich nicht zustimmen. Sind den mutmaßlich zukünftigen Koalitionären die Stimmen der Grünen gewiss?
Vorländer: Das mag ich nicht zu beurteilen. Auf der Hand liegt, dass sie sich übervorteilt fühlen. Die Grünen werden sich ihre Stimmen sicherlich nur abkaufen lassen. Union und SPD müssen jetzt auf die Grünen zugehen; eine Möglichkeit wäre es, in den Infrastrukturmaßnahmen auch Klimaschutz zu verankern.
epd: Ist der Vorgang auch ein Einfallstor für die Rechtspopulisten? Sowohl die AfD als auch die Linken haben bereits Klagen angekündigt.
Vorländer: Für die AfD ist das ein gefundenes Fressen. Zum einen, weil sie infrage stellt, dass es legitime Gründe gibt, dass der alte Bundestag das noch beschließt. Zum anderen vertritt die AfD eine marktliberale Wirtschaftspolitik. Sie kann sich nun als letzte Hüterin einer restriktiven Schuldenpolitik inszenieren und die Union so richtig vorführen.