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Podcast-Serie berichtet von Grenzüberschreitungen des Staates

Was bedeutet es für Menschen, wenn aus dem Nichts die Polizei der Tür steht? Die Redaktion von netzpolitik.org hat eine Pfarrerin im Hunsrück besucht, die wegen ihres Kirchenasyls ins Visier der Ermittler geraten war.

Die Wahrscheinlichkeit, morgens von einer Hausdurchsuchung der Polizei geweckt zu werden, schätzen vermutlich die meisten Menschen als eher gering ein. Auch Sandra Menzel, seit über 17 Jahren Pfarrerin in einer kleinen Gemeinde im Hunsrück, fällt aus allen Wolken, als im Januar 2019 morgens mehrere Streifenwagen vor ihrem Pfarrhaus stehen und die Staatsanwältin ihr einen Durchsuchungsbeschluss unter die Nase hält.

Das berichtet Menzel in der Podcast-Folge “Systemeinstellungen: Razzia im Pfarrhaus”, die das Online-Medium netzpolitik.org am Freitag veröffentlicht hat. Die seit letzter Woche laufende Podcast-Reihe beschäftigt sich mit Menschen, die plötzlich ins Visier des Staates geraten.

Allen Protagonisten – Journalisten, Wissenschaftlern, Klimaaktivisten, Migranten – gemein ist die Härte, mit der gegen sie vorgegangen wird. Hausdurchsuchungen bringt man vor allem mit schweren Verbrechen in Verbindung, in denen Beweismittel gesichert werden oder geheime Verstecke ausfindig gemacht werden sollen. Was hat die Pfarrerin also angestellt?

Als 2014 und 2015 die Zahl der Menschen, die vor allem vor dem syrischen Bürgerkrieg flohen, stark angestiegen war, hat Menzel sich in ihrer Gemeinde in der Flüchtlingshilfe engagiert. 2016 gewährte sie zum ersten Mal einem Syrer Kirchenasyl, um seine Abschiebung zu verhindern.

2018 klopften wieder geflüchtete Menschen an. Sieben Männer aus der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur waren von Abschiebung bedroht. Zwei von ihnen gewährte Menzel Kirchenasyl, die anderen kamen in Nachbargemeinden unter. Sie informierte sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), dass die Geflüchteten vorübergehend bei ihr unterkommen – alles streng nach Vorschrift. Als das Kirchenasyl endete, war die Sache für Menzel erledigt – bis sie kurz darauf Post von der Staatsanwaltschaft bekam. Der damalige Landrat Marlon Bröhr, der heute für die CDU im Bundestag sitzt, hatte sie angezeigt – wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt.

Im Januar 2019 stand dann die Polizei vor der Tür und verlangte Dokumente und Zugriff auf Menzels technische Geräte – ohne Rücksicht auf sensible seelsorgerischen Daten, die sich darauf befinden könnten, wie sie beklagt. Der Podcast schildert eindrücklich, was das mit den Protagonisten macht, wie verängstigt und verunsichert sie sind.

Hier liegt eine der großen Stärken des Formats. Es macht die Ohnmacht der Betroffenen deutlich, wenn es der Staat ist, der gegen sie vorgeht. Menzel führt ein normales, bürgerliches Leben und hat sich nicht mit Absicht in die Schusslinie begeben. Sie hat getan, was sie als Pfarrerin und Christin für richtig hielt. Völlig unvermittelt trifft es sie, dass sie wegen ihres humanitären Engagements, das nicht einmal illegal war, mit einem so harten Vorgehen konfrontiert ist.

Dem Hörer wird so erlebbar, was ein solcher Eingriff bedeutet – auch wenn man mit Menzel und den anderen Protagonisten der Serie nicht einer Meinung sein muss. Und selbst wenn Ermittlungsbehörden sich in den meisten Fällen korrekt verhalten, sind es die Einzelfälle, die besondere Beachtung verdienen. Denn auch wenn so manche Hausdurchsuchung – wie die bei Sandra Menzel – im Nachhinein von Gerichten für illegal erklärt wird und die gesammelten Daten nicht ausgewertet werden, bleibt der Vertrauensverlust.

An dieser Stelle sollte der Podcast eigentlich enden, berichtete Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org und Autor der Podcast-Folge, im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Doch als man kurz vor Veröffentlichung der Folge noch einmal mit der Pfarrerin Kontakt aufgenommen hatte, zeigte sich, dass die Geschichte hier noch nicht zu Ende war: “Sandra Menzel hatte vor einigen Wochen wieder die Polizei im Haus. Diesmal haben sie aber keine Daten, sondern den Asylbewerber mitgenommen.” Menzel hatte erneut einem Syrer, der von Abschiebung bedroht war, Kirchenasyl gewährt.

Vom Thema Kirchenasyl abgesehen habe die Recherche an diesem Fall hoffentlich noch weitere “Nebenwirkungen”, so der Redakteur: “Ich werbe schon seit Jahren dafür, dass Überwachung, digitale Bürgerrechte und Datenschutz auch ein Thema für die Kirchen sein sollten.” Das betreffe ethische, aber auch ganz praktische Fragen: “Die Zeiten haben sich geändert, Seelsorge wird auch auf WhatsApp oder per E-Mail betrieben.” Die Kirchen liefern nach Ansicht von Dachwitz aber bisher kaum Leitlinien oder Handreichungen, wie sich seelsorgerisch tätige Personen in der digitalen Welt verhalten sollten. Vielleicht, so seine Hoffnung, kann der Podcast ja hier neue Anstöße liefern.