Es ist ein Teufelskreis, und der dreht sich zunehmend schneller: Heimen und Pflegediensten fehlt qualifiziertes Personal. Deshalb lehnen sie immer öfter die Betreuung jener Pflegebedürftiger ab, die viel Arbeit machen. Zynisch ist schon die Rede von „stiller Rationierung durch Fach- und Arbeitskräftemangel“.
Edeltraut Hütte-Schmitz, Vorstandsmitglied des bundesweit aktiven Vereins „wir pflegen“: „Leistungsanbieter entscheiden nach wirtschaftlichen Kriterien, wen sie versorgen können und wen nicht.“ Schwerstpflegebedürftige fänden keinen Heimplatz, weil sie zu sehr pflegebedürftig seien. Sie müssten notgedrungen daheim versorgt werden. „Aber auch hier finden sie viel zu oft keine professionelle Unterstützung, weder durch einen ambulanten Pflegedienst noch durch einen Tagespflegeplatz, denn auch hier findet die Pflege-Triage statt.“ Den pflegenden Angehörigen bleibe so oft nicht anderes übrig, als ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder den Beruf ganz aufzugeben.
Recht auf würdevolle Pflege
Der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege, Wilfried Wesemann, will das nicht akzeptieren. Das professionelle Pflegesystem müsse „das Recht auf würdevolle Pflege endlich wieder erfüllen“. „Unser derzeitiges Pflegesystem kann den demografischen Herausforderungen nicht mehr gerecht werden. Es diskriminiert die Schwächsten unserer Gesellschaft“, rügt Professorin Notburga Ott, Mitglied des Vorstands des Landesvereins „wir pflegen NRW“. Betroffen sind Pflegebedürftige mit den hohen Pflegegraden 4 und 5.
Fachleute beklagen schon länger, dass diese Menschen oft keinen Platz im Heim oder bei einem ambulanten Pflegedienst finden, was nicht selten private Tragödien nach sich zieht. Aber auch für die Träger ist das heikel, denn sie verlieren Einnahmen, wenn ihre Kapazitäten nicht ausgelastet sind. Das kann zu Insolvenzen führen – wodurch die Zahl der Heim- und Pflegeplätze womöglich noch weiter sinkt.
Begriff Pflege-Triage „unglücklich“
Der BIVA-Pflegeschutzbund bezeichnet den Begriff Pflege-Triage als „unglücklich“. Gemeint sei das Phänomen der ungewissen Vermittlung von Patienten aus dem Krankenhaus in eine Pflegeeinrichtung. „Uns ist jedoch kein Fall bekannt, in dem es keine Weiterversorgung gegeben hätte, geschweige denn in der Folge sterben gelassen wurde, was Triage ja eigentlich meint“, sagte Sprecher David Kröll auf Nachfrage. Aber: Die massiven Probleme deckten sich mit den Erfahrungen des Pflegeschutzbundes aus der eigenen Beratungsarbeit.
Das Problem sei mittelbare Folge einer Gesetzesreform im Jahr 2021 (§ 39e SGB V). „Durch das ‘Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung’ wurde diese Problematik ein Stück weit auf die Krankenhäuser verlagert“, so der Pflegeschutzbund. „Diese müssen für maximal zehn Tage die sogenannte Übergangspflege leisten und in dieser Zeit Heimplätze zur Weiterversorgung anfragen.“ Doch die Kliniken stießen immer öfter auf Ablehnung bei Heimen und ambulanten Diensten.
Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes der Anbieter privater sozialer Dienste (bpa), sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Dass pflegende Angehörige und karitative Netzwerke inzwischen von einer Pflege-Triage sprechen, zeigt die Dringlichkeit.“ Die Politik ignoriere diese gefährliche Entwicklung, weil sich das Drama kaum sichtbar in den Familien abspiele.
Pflegewesen wurde jahrzehntelang vernachlässigt
„Das Entlassmanagement der Krankenhäuser funktioniert oft nicht. Dabei sind die gesetzlichen Vorgaben eindeutig“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Doch gerade für schwerstpflegebedürftige Menschen findet sich laut Brysch meistens keine bedarfsgerechte Lösung: „Die Pflegeversorger scheuen den hohen Versorgungsaufwand der Hilfsbedürftigen. Dieser Rosinenpickerei gehört ein Riegel vorgeschoben.“ Hier müsse grundsätzlich eine feste Quote für die Aufnahme von Menschen mit Pflegegrad 4 und 5 mit Pflegeanbietern vereinbart werden. „Zudem ist ein Rechtsanspruch auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege überfällig. Der Bundesgesundheitsminister hat endlich für ein optimales Entlassmanagement zu sorgen.“
Für Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), zeigen sich heute „die fatalen Lücken eines jahrzehntelang vernachlässigten Pflegewesens“. Und sie merkt an: „Auch wenn der Begriff Triage im Falle der Pflege unklar ist und eher Rationierung von Leistungen gemeint ist, sind wir uns einig, dass der Mangel an Pflegefachpersonen Einbußen in der pflegerischen Versorgung und der Pflegequalität zur Folge hat.“