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Pfingsten und Eichhörnchen

Im Kommentar der Woche von Viola Vogel verleiht der Heilige Geist Flügel. Euphorisch lenkt er in neue Bahnen und schenkt überraschende Blickwinkel. Mit ihm überwindet der Mensch Unvorstellbares.

Eichhörnchen mit einer Nuss
Eichhörnchen mit einer NussImago / Lobeca

„Guck mal, ‘n Eichhörnchen“, sagt Rita zu Renate Lohse, als sie, die besten Freundinnen, im Park spazieren gehen. Renate erzählt Rita von ihren Eheproblemen: Ihr Mann ist frisch im Ruhestand. Er wirft das bisher ruhige Ehe- und Hausfrauenleben durch seine häusliche Dauerpräsenz durcheinander. Diese Szene aus Loriots Film „Papa ante portas“ gehört mit zu den Besten, was dieser Film hervorgebracht hat. Renate ist empört. „Ich erzähle dir von meinen Eheproblemen und dir fällt dazu nur ein: ,Guck mal, ‘n Eichhörnchen’.“

Dabei ist es gerade dieser Satz von Rita, der sie zur besten Freundin macht. Sie hätte auch aus ihrem reichen Eheerfahrungsschatz berichten können, ein paar Parkrunden haben die beiden ja schon gedreht. Wie sie das so macht, sich Freiräume zu schaffen von den Erwartungen des Ehemanns, der nun im Ruhestand zu Hause ist. Das ist die Kehrseite der klassischen Alleinverdiener- und Versorgerehen. Diese Ratschläge wären von Renate vielleicht als hilfreich und empathisch, vielleicht als einfühlsam, vielleicht aber auch schlicht als anmaßend und verletzend empfunden worden.

Denn Ratschläge, so gut sie auch immer gemeint sein mögen, sind immer auch eins – es sind Schläge. All das weiß Rita. Und deshalb verzichtet sie darauf. Ihre Freundin Renate würde sich nur immer mehr in ihren Kummer hineinwühlen.

Schönes und Leichtes im Leben

Stattdessen sagt Rita: „Guck mal, ‘n Eichhörnchen.“ Sie will damit sagen: „Guck‘ mal, es gibt noch anderes, Schönes, Leichtes, im Leben.“ Sie hätte auch sagen können: „Guck mal, es ist doch bald Pfingsten.“

Pfingsten – 50 Tage nach Ostern, vom griechischen Wort pentecoste abgeleitet – ist der feierliche Abschluss der Osterzeit, eine Hoch-Zeit, im wahrsten Sinne. Denn Gott ist durch seinen Sohn Jesus Christus Mensch geworden. Er hat gelebt, ist gestorben, begraben und am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel.

50 Tage nach Ostern ist der Heilige Geist ausgegossen worden und wir Menschen aller Sprachen und Nationen sind in Christus vereint, denn „alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt“ (Apostelgeschichte 2,4).

Pfingsttaube im Kirchenfenster in Bückeburg
Pfingsttaube im Kirchenfenster in BückeburgImago / epd

Zu Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche – dieser gemeinsam von uns Christen geschaffenen Institution. Durch ihre Menschen steht sie für die Weitergabe des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente. Der Heilige Geist wirkt auch in Renates Leben. Gott ist da, auch wenn sie ihn nicht siehst. Er hält sie, immer und immer. Denn Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Er ist Bewahrer und Erhalter allen Lebens. Flügelgeber und Schutzspender.

Rita könnte zu Renate sagen: „Und deshalb schau‘ es an, das Eichhörnchen, liebe Renate. Wie es springt, halsbrecherisch und leicht zugleich, von Ast zu Ast. Grundvertrauend und sicher, nicht zu fallen. Anmutig, im Sprung wie im Flug zum nächsten Zweig. Er ist spürbar, dieser Heilige Geist, wenn wir ihm Raum geben. Höre mal auf das, was in Dir ist, wenn nichts außen ist. In einer Kirche. Im Wald. Im Wohnzimmer. Am Meer. Und dann: Sei unverzagt! Es wird eine Lösung geben. Für das sich verändernde Miteinander in der Ehe.“

Unsichtbar und wirkmächtig.

Pfingsten ist die Einladung im Jahr, das Leben aus der Perspektive dieses unsichtbaren und doch so wirkmächtigen Heiligen Geistes zu betrachten. Er ist es, der, eichhörnchengleich, uns Menschen die immense Kraft gibt, zu springen, auf unsere geheilten und verletzten, auf unsere zerbrochenen und neu wachsenden Äste des Lebens, unseren je eigenen, unverwechselbaren Lebensbaum. In dem nicht enden wollenden Vertrauen und der Gewissheit, nicht zu fallen, weil ER immer schon da ist und uns halten wird.

Diese unglaubliche Schöpferkraft zu feiern, die wir als evangelische Christen in der Sozialgestalt unserer evangelischen Landeskirche miteinander erfahren, und diese Botschaft des Evangeliums uns täglich zuzusagen – Christen wie Nichtchristen, in unseren Kirchengemeinden und hinein in die säkulare Zivilgesellschaft – das ist der Sinn des Pfingstfests.

Wenn also das nächste Mal jemand in Trübsal zu Ihnen kommt, die Welt in düstersten Farben malt, von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geplagt ist – hören Sie der Person zu, geben Sie ihr Raum zu klagen. Aber dann, irgendwann, haben Sie für sich selbst und für den zu Tröstenden den pfingstlichen Satz parat: „Guck mal, ‘n Eichhörnchen.“ Gesegnete Pfingsten.

Dr. Viola Vogel, Konsistorialpräsidentin der EKBO
Dr. Viola Vogel, Konsistorialpräsidentin der EKBOImago / epd

Viola Vogel ist Konsistorialpräsidentin in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz