Von Joachim Heinz
Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Der sagenhafte Schatz der Nibelungen, vom bösen Ritter Hagen einst angeblich im Rhein versenkt, ist allen Mühen zum Trotz immer noch nicht gehoben. Und seit Jahren schon sorgt der stetig zunehmende Bahnverkehr im Mittelrheintal für schlaflose Nächte bei Hoteliers und jenen Gästen, die sich in Sankt Goar, Bacharach oder Rüdesheim zur Ruhe betten wollen.
Aber: Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Der 320 Kilometer lange „Rheinsteig“ zwischen Bonn, Kob-lenz und Wiesbaden lockt auch Familien mit Kindern, der Bodensee oder Städte wie Freiburg und Köln profitieren vom Trend zum Urlaub im eigenen Land. Flusskreuzfahrten zwischen Rotterdam und Basel erfreuen sich großer Beliebtheit.
„Einmal am Rhein, und dann zu zwei‘n alleine sein“ – diese Devise aus Willi Ostermanns Gassenhauer einzulösen, scheint da ein Ding der Unmöglichkeit. Viel los war am Rhein aber eigentlich schon immer. Das zeigt jetzt auch die Ausstellung „Der Rhein – Eine europäische Flussbiografie“ bis zum 22. Januar in der Bonner Bundeskunsthalle. Sie will den „deutschen Strom“, der eigentlich durch sechs Länder fließt, als kulturelle, politische und gesellschaftliche Lebensader präsentieren. Angefangen vom Waldnashorn, das hier vor 120 000 bis 80 000 Jahren graste, bis hin zu dem Düsseldorfer Fotokünstler Andreas Gursky, dessen Rhein-Bilder Millionenpreise erzielen.
Die alten Römer prägten den Fluss als Kulturraum. Bauchige Riesen-Amphoren gehören zu jenen Hinterlassenschaften aus den „Jugendtagen“ des Stroms, die ihren Platz in der Schau gefunden haben. Nach den Römern kam die Kirche. Die beiden Benediktinerklöster Sankt Gallen (719) und Reichenau (742) gehören neben Fulda zu den bedeutendsten Klostergründungen der Karolinger und wurden zu kulturellen Zentren ihrer Zeit. Bistümer wie Trier, Mainz und Köln häuften Macht und Reichtum an. Welche im wahrsten Wortsinn überragende Bedeutung Klöster, Gotteshäuser und Heilige hatten, zeigt eine Ansicht Straßburgs aus dem Liber chronicarum des Hartmann Schedel. Da ragt der Turm des Münsters bis in die Textzeilen hinein.
„Pfaffengasse“ nannte Kaiser Maximilian I. (1459-1519) den Strom; sein Enkel Karl V. ließ den Reichstag 1521 nach Worms einberufen um über die Causa des Reformators Martin Luther zu befinden. Nicht zum letzten Mal machte der Rhein seinem kaiserlichen Spottnamen alle Ehre. Doch auch die weltliche Macht hinterließ ihre Spuren am Fluss. Burgen und Befestigungen wurden im Laufe der Jahrhunderte errichtet, belagert und zerstört. Mit dem Aufkommen der Nationalstaaten und den Umwälzungen durch die Französische Revolution wurde der Strom zum Streitobjekt. Mit „Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze“ gab Ernst Moritz Arndt 1813 die Melodie vor.
Wer hielt sie nun, „die Wacht am Rhein?“ Das war im 19. Jahrhundert eine Frage von Leben und Tod. Die martialische Propaganda in Form von Liedern, Plakaten und Denkmälern, auch das ist in der Bonner Schau zu sehen, nahm in gewisser Weise die Katastrophe des Ersten und Zweiten Weltkriegs vorweg. Und dennoch verband der Rhein auch in dunklen Zeiten die Menschen. Handel wurde in allen Dekaden getrieben; und wenn, wie 1688 ein Zahnwal „mit großem braussen und gebrüll“ aus den Fluten auftaucht, bringt der Fluss die Anwohner zum Staunen.
Der Rundgang in der Bundeskunsthalle endet mit der Ansicht eines Glasfensters aus dem Straßburger Münster. Der dort verewigte „Strahlenkranz“ Mariens diente als Vorlage für die Flagge der EU. Nach Ansicht von Kuratorin Marie-Louise von Plessen ein Symbol der geglückten Ankunft im Hafen eines vereinten und befriedeten Europas. Und ein versöhnlicher Ausgang in diesen Tagen, in denen der Zusammenhalt in der EU beinahe mit jedem Tag ein wenig mehr zu bröckeln scheint. Die Botschaft ließe sich auch so bündeln: Der Rhein und seine Geschichte sind alles andere als ein Fall fürs Museum.
Die Ausstellung ist Dienstag und Mittwoch von 10 bis 21 Uhr und Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Internet: www.bundeskunsthalle.de.