Afrika steht im Zentrum des Treffens der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer – G20 – am 7. und 8. Juli in Hamburg. Mit dem Kontinent beschäftigt sich seit vielen Jahren auch der belgische EU-Abgeordnete Louis Michel (69). Als Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung der EU und der Afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) trifft er regelmäßig die Präsidenten Ruandas, der Demokratischen Republik Kongo und des Senegals. Die meisten kennt er aus seiner Zeit als Belgiens Außenminister (1999-2004) und EU-Entwicklungskommissar (2004-2009). Im Interview mit Franziska Broich erklärt er, was im Dialog zwischen Afrika und der EU wichtig ist (siehe auch Seite 15).
Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren in der Beziehung zwischen der EU und Afrika verändert?
Wir haben unseren Ansatz nicht wirklich geändert – aber unsere Partner, die Afrikaner, verändern sich. Die neuen afrikanischen Spitzenpolitiker sind sehr offen. Sie wollen sich von den Europäern keine Bedingungen mehr vorschreiben lassen, sondern eine Partnerschaft auf Augenhöhe.
Trotz vieler Millionen Euro Entwicklungshilfe, die nach Afrika geflossen sind, verbessern sich die Lebensbedingungen dort nur langsam. Haben wir etwas falsch gemacht?
Die europäischen Länder haben viel Geld an die Entwicklungsländer überwiesen. Aber sie haben zwei große Fehler gemacht. Wir haben es auf eine karitative Art gegeben. Wir haben ihnen nicht geholfen, den Staat und seine Kapazitäten aufzubauen, also die Leistungsfähigkeit der Staaten zu fördern. Die Menschen dort sind oft sich selbst überlassen. Der Staat finanziert keine Schulen, Straßen oder Gesundheitsversorgung. Wir haben versäumt, in Afrika solide Staaten mitaufzubauen.
Und zweitens?
… haben wir die Entwicklungszusammenarbeit nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammengedacht. Wir haben die Freie Marktwirtschaft nicht ausreichend unterstützt. Die Menschen brauchen Kapitalismus mit einem sozialen und menschlichen Ziel. Wenn der Markt geöffnet wird, muss gleichzeitig der Staat gestärkt werden.
Welche Rolle spielen andere Nationen wie China auf dem afrikanischen Kontinent?
Die Präsenz der Chinesen in Afrika ist Segen und Fluch für die Afrikaner. Denn sie verlieren Bodenschätze, ohne an der Weiterverarbeitung beteiligt zu sein. Andererseits sind die Europäer durch die Präsenz der Chinesen verdammt mitzuspielen. Die Europäer sehen die Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern durch diesen Wettbewerb mit einer anderen Mentalität als zuvor. Es gibt nun eine Konkurrenz um den Partner. Die Europäer werden sich dessen langsam bewusst. Europäische Firmen haben oft bessere wirtschaftliche Modelle zu bieten als die Chinesen. Die Afrikaner ver-pflichten nun die Europäer, Partner mit gleichen Rechten zu sein.
Warum ist Afrika für die Europäer so wichtig?
Afrika ist der nächste aufstrebende Kontinent. Für Europa ist Afrika wichtig, weil es geographisch Nachbarn sind. Wir sind verbunden durch vier Sprachen, durch die Geschichte und durch viele menschliche Verbindungen. Ein Kongolese, der nach Europa kommt, geht nach Brüssel. Die Ge-schichte hat Belgien und die Demokratische Republik Kongo eng verbunden.
Sind die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Migrationspartnerschaften der richtige Weg, um Fluchtursachen zu bekämpfen?
Wir können das Problem der Migration nur mildern, wenn wir die Wirtschaften der Länder weiterentwickeln. Dafür ist es nie zu spät. Viele Länder, die Teil der Migrationspartnerschaften sind, verweigern zum Beispiel die Bedingungen für die Rücknahme von Migranten, da die Überweisungen der Migranten aus Europa sehr hoch sind. Wir müssen eine wirtschaftliche Partnerschaft entwickeln. Das bedeutet auch eine menschliche Partnerschaft. Wir können das nicht umgehen. Aber es muss ein „Win-Win“-Prozess sein – ansonsten kommen wir niemals aus unserem karitativen Ansatz heraus.
Was muss künftig im Vordergrund der Afrika-Beziehungen der Europäischen Union stehen?
Der politische Dialog muss künftig die Priorität zwischen europäischen und afrikanischen Politikern sein. Wir müssen mit den Afrikanern diskutieren wie mit den Chinesen und dürfen nicht versuchen, sie systematisch zu unterrichten. Sie müssen uns auch sagen dürfen, dass sie etwas unfair finden. Wenn wir das nicht akzeptieren, können wir keine wahre Partnerschaft mit den afrikani-schen Staaten entwickeln. Eurafrika ist die Zukunft.