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Palästinensischer Präsident Abbas wird 90 – Sein letzter Anlauf

Er sieht sich als “Mann des Friedens”, setzt sich für einen gewaltlosen Kampf und ein freies Palästina ein. Unter seinen Landsleuten ist Präsident Mahmud Abbas umstritten. Auch mit 90 hofft er auf eine bessere Zukunft.

Ausgerechnet der blutigste aller Kriege im Gazastreifen beschert dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas auf seine alten Tage einen Teilerfolg in einer Herzensangelegenheit: Viele Staaten des Westens erkannten Palästina kürzlich als Staat an. Diesen Staat, der de facto noch Realität werden will, beschrieb Abbas am Tag des Waffenstillstands als guten Nachbarn Israels, dessen Existenzrecht er erneut bekräftigte. Einmal mehr betonte er damit seinen Willen, ein “Mann des Friedens” zu sein. Am 15. November wird Abu Mazen, wie Abbas in arabischer Tradition genannt wird, 90 Jahre alt.

1935 im heute israelischen Safed geboren, floh Abu Mazen 1948 im Palästina-Krieg mit seinen Eltern nach Damaskus. Dort studierte er englische und arabische Literatur und Rechtswissenschaften. Es folgte ein Geschichtsstudium in Moskau mit einer Promotion zum Thema “Die Zusammenhänge zwischen Zionismus und Nazismus 1933-1945” (1982), die immer wieder den Vorwurf der Holocaustleugnung genährt hat. Auch sein Holocaustvergleich im August 2022 in Berlin war da nicht hilfreich.

In seiner politischen Karriere war Abbas an der Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der Fatah-Bewegung beteiligt, der er vorsteht. Bis zum Tode Jassir Arafats galt Abbas als dessen inoffizieller Stellvertreter. Seit Israel und die Palästinenser verhandelten, saß auch der Flüchtling aus Safed mit am Tisch.

2003 wurde er der erste Ministerpräsident der Palästinensischen Behörde, trat jedoch nach 100 Tagen zurück, frustriert über mangelnde Unterstützung und fehlende Fortschritte im Friedensprozess. Als Arafat starb, wurde Abbas im Januar 2005 zum Präsidenten der Palästinensischen Behörde gewählt – ein Schritt, den der Westen begrüßte.

Auch in Kirchenkreisen herrschte Optimismus. Der damalige Lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, hielt nach der Wahl eine positive Entwicklung im Nahen Osten für möglich. Der damalige Franziskanerkustos Pierbattista Pizzaballa sah es ähnlich: Abbas habe in der Antrittsrede Mut bewiesen, indem er Dialog und Frieden anbot – und sei weit über diplomatische Floskeln hinausgegangen.

Christen sind für den Muslim Abbas integraler Teil des “reichen Mosaiks eines freien, souveränen, demokratischen und pluralistischen Palästinas”, Jesus Christus “ein Symbol für alle Palästinenser”, die wiederum mit ihrem Streben nach einem dauerhaften Frieden dem Beispiel Christi folgten. Die Geburtskirche in Bethlehem besucht Abbas nicht nur jährlich zu den Weihnachtsgottesdiensten. Ihre Restaurierung unterstützte er mit mehreren Millionen Euro.

Mit Papst Leo XIV. tauschte er sich nach dessen Wahl zunächst telefonisch aus, über die Lage im Gazastreifen und die Gewalt im Westjordanland. Anfang November reiste er zu einem Besuch in den Vatikan. Beide bekräftigten die Zwei-Staaten-Lösung als Ziel.

Von den früheren Päpsten Benedikt XVI. und Franziskus wurde der Palästinenser ein dutzendmal empfangen; beiden war er Gastgeber, als sie das Heilige Land besuchten. Für Franziskus legte er bei seiner jüngsten Visite Blumen an dessen Grab nieder. Er könne “nicht vergessen, dass er Palästina anerkannt hat, ohne dass ihn jemand darum bitten musste”, sagte Abbas.

Im israelisch-palästinensischen Konflikt hält Abu Mazen am gewaltlosen Kampf für ein freies und unabhängiges Palästina mit Ostjerusalem als Hauptstadt fest. Seine Forderungen lauten: Zwei Staaten in den Grenzen von 1967, friedliche Koexistenz beider Völker sowie ein Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge. Kritiker werfen ihm allerdings vor, seine Rhetorik dem Publikum anzupassen und selbst weitreichende israelische Angebote auszuschlagen.

Im eigenen Volk lasten Vorwürfe von Korruption und zunehmend autokratischer Machtausübung auf ihm. Seit 16 Jahren regiert er ohne demokratische Legitimierung. Statt freier Wahlen wurde Abbas’ Amtszeit im Dezember 2009 auf unbestimmte Zeit verlängert.

Im Westjordanland kam es im Sommer 2021 nach abgesagten Parlamentswahlen zu tagelangen Protesten gegen die Palästinensische Behörde, als der Antikorruptionsaktivist und regierungskritische Oppositionelle Nizar Banat in Polizeigewahrsam zu Tode kam. Auch gegen die Demonstranten gingen die Sicherheitskräfte brutal vor. Meinungs- und Pressefreiheit standen schon vorher zunehmend unter Beschuss.

In Abbas’ Zeit fielen auch heftige Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas mit zeitweise bürgerkriegsähnlichem Ausmaß, die zur israelischen Abriegelung des Gazastreifens führten. Nach dem Angriff der Terrormiliz auf Israel vom 7. Oktober 2023 fand Abbas deutliche Worte. Er verurteilte das Morden, forderte die sofortige Freilassung aller Geiseln und erklärte, in der palästinensischen Regierung gebe es keinen Platz für die Hamas, die überdies ihre Waffen abgeben müsse.

Wiederholt machte er einen Anspruch auf das Nachkriegs-Gaza geltend. Der Staat Palästina sei “die einzige legitime Autorität, die befugt ist, die volle Verantwortung für die Regierungsführung und Sicherheit in Gaza zu übernehmen”, erklärte er im September vor der UN-Vollversammlung – wegen eines US-Einreiseverbots via Videobotschaft. Darin versprach er umfassende Reformen, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen binnen zwölf Monaten nach Kriegsende und eine vorläufige Verfassung innerhalb von drei Monaten.

“Wir streben einen modernen demokratischen Staat an, der auf Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, friedlicher Machtübergabe, Gleichheit, Gerechtigkeit und der Stärkung von Frauen und Jugendlichen basiert”, so Abbas zur UN. Einen Staat, in dem alle selbstverständlich Arabisch und Hebräisch sprechen, fügte er am Tag hinzu, als der Waffenstillstand für Gaza bekannt wurde.

Israelis und Palästinenser müssten jetzt gemeinsam ein neues Kapitel aufschlagen, betonte Abbas, der vielleicht sein Anliegen – einen Friedensprozess – nach langem erstmals wieder näher rücken sah. “Die Hoffnung beginnt heute, und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir den Frieden weiter umsetzen.”