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Oscar-Regisseur Edward Berger über seinen neuen Film “Konklave”

Erst Krieg – jetzt Papstwahl. Für “Im Westen nichts Neues” erhielt er 2023 den Oscar. Jetzt hat Edward Berger den Bestseller “Konklave” verfilmt – als packenden Thriller hinter den Kulissen des Vatikans.

Der Thriller “Konklave” nach dem Bestseller von Robert Harris erzählt von der turbulenten Wahl eines neuen Papstes. In der Hauptrolle: Ralph Fiennes als Kardinal Lawrence. Er muss nach dem überraschenden Tod des Papstes die Wahl seines Nachfolgers organisieren. Hinter verschlossenen Türen entbrennen erbitterte Macht- und Richtungskämpfe.

Für den österreichisch-schweizerischeren Regisseur und Autor Edward Berger war der Film eine ganz andere Herausforderung als der Kriegsfilm “Im Westen nichts Neues”, mit dem er 2023 zahlreiche Preise und sogar vier Oscars gewann – unter anderem für den besten internationalen Film.

Herr Berger, in Ihrem Film “Im Westen nichts Neues” erzählen Sie von jungen Männern, die in einem sinnlosen Krieg ihr Leben und ihre Zukunft verlieren. In “Konklave” geht es dagegen um ältere, teilweise auch schon sehr alte Männer. Diese entscheiden über die Zukunft der katholischen Kirche und unzähliger Gläubiger. Was hat Sie an diesem thematischen Sprung gereizt?

Wenn man einen Film macht, ist das ungefähr so, wie wenn man über drei Jahre hinweg eine Unterhaltung führt und einen dabei irgendwann das Gefühl beschleicht, dass jetzt alles gesagt ist und man auch nicht mehr weiß, was man noch sagen soll.

Deshalb wollte ich mich nach “Im Westen nichts Neues” auf ein Terrain begeben, auf dem ich nicht zuhause bin und mich nicht auskenne; ich bin kein Katholik. Ich wollte mich genau dorthin begeben, wo die Angst beginnt und ich auch scheitern könnte. Das fordert mich heraus. Ich will lernen, zuhören und über neue Ideen diskutieren, mit denen ich dann wieder drei Jahre verbringen kann.

“Konklave” ist ein Ensemblefilm, bei dem die Protagonisten bestimmte theologische und auch politische Tendenzen innerhalb der katholischen Kirche verkörpern und sich gegenseitig auch erbittert bekämpfen. Hatten Sie sich mit diesen Konflikten und Richtungskämpfen schon vorher beschäftigt?

Man hört gelegentlich über Machtkämpfe im Vatikan oder von der Richtung, die Papst Benedikt oder Papst Franziskus vorgeben. Über solche Dinge weiß man im Groben schon Bescheid, aber nicht in einer solchen Tiefe, wie ich jetzt darin eingetaucht bin.

Im Endeffekt sind das ja universelle Konflikte. Sie sind nicht unbedingt nur bezeichnend für den Vatikan; sie stehen vielmehr für konkurrierende politische Strömungen, für Liberalismus, Konservatismus oder auch Populismus, die es überall auf der Welt gibt. Das findet man genauso in der US-amerikanischen oder deutschen Politik.

Sind Sie selbst auch mit dem Christentum verbunden? Hat sich Ihr Blick auf die katholische Kirche durch den Film gewandelt? Welche Weiterentwicklungen oder Reformen sehen Sie für die katholische Kirche?

Ich bin protestantisch aufgewachsen, aber der Kirche irgendwann abtrünnig geworden, weil ich darin keinen Sinn mehr für mein Leben gesehen habe. Die unterschiedlichen Glaubensrichtungen innerhalb der Kirchen halte ich aber schon für wichtig. Viele Menschen glauben, dass Religionen oder die Kirchen nur Unruhe und Konflikte schüren. Aber wenn wir diese Institutionen nicht hätten, was hätten wir dann? Dann gäbe es keine Tradition, keine Geschichte und keine Identität mehr.

Ich glaube, wir würden sehr viel Halt verlieren. Ich meine dabei nicht unbedingt die katholische Kirche oder die protestantische Kirche oder das Christentum an sich. Sondern Religion und Glaube in einem wesentlich weiteren Sinn. In “Konklave” geht es vordergründig um einen Machtkampf. Der Stuhl des Petrus ist leer und die Menschen wetzen ihre Messer, um diesen Machtkampf in ihrem Sinne zu entscheiden. Da prallen unterschiedliche Strömungen aufeinander.

Das finde ich als politischen Thriller sehr interessant. Ein bisschen erinnert das an Alan J. Pakula und seine Filme aus den 1970er-Jahren, an “Die Unbestechlichen” oder “Zeuge einer Verschwörung”. Aber das ist nur der vordergründige Konflikt. Was mich weit mehr reizte, war der innere Konflikt des von Ralph Fiennes gespielten Kardinal Lawrence. Sozusagen die Reise eines Zweifelnden. Damit kann ich mich identifizieren. Diese widerstreitenden Gefühle habe ich auch. Seine Geschichte wollte ich erzählen. Darauf haben der Drehbuchautor Peter Straughan, die Produzentin Tessa Ross und ich uns konzentriert, indem wir diese zwei Geschichten sich auf zwei Ebenen entfalten ließen.

Die Hauptfigur Kardinal Lawrence ist ein zweifelnder Pragmatiker, der sich viele Gedanken macht und schlimme Gewissenskonflikte durchlebt. Dabei drückt er sich oft mehr durch sein Schweigen als durch Worte aus.

Das war der Hauptgrund, weswegen ich Ralph Fiennes für die Rolle besetzt habe. Er spielt so von innen heraus und drückt mit seinen Augen aus, was in seinem Herzen vor sich geht. Er lädt mich quasi in die Mitte seiner Seele ein. Fiennes schafft es, dass ich ihm zuschaue und dabei erkenne, was er denkt. Vordergründig ist er zunächst ein Detektiv wider Willen, der Leute befragt und ihnen hinterherspürt.

Aber viel wichtiger ist seine innere Reise und seine Glaubenszweifel. Das ist ungefähr so, als wenn Sie als Journalist nicht an das glauben, was Sie schreiben, oder ich als Filmemacher nicht mehr auf die Kraft der Kamera oder die Kraft der Bilder vertraue. Das würde die Grundlage meiner Existenz zerstören. Genauso aber durchlebt es Kardinal Lawrence; das ist ein spannender innerer Konflikt. Fiennes und ich sind das Drehbuch zusammen durchgegangen und haben immer wieder versucht, die Handlung auf diese innere Zerrissenheit zu fokussieren.

Diese Komplexität findet sich auch in anderen Figuren, die zunächst extrem machtbesessen wirken.

Die Figuren haben wir im Drehbuch sehr differenziert ausgearbeitet. Deswegen habe ich auch so großartige Schauspieler gewinnen können, weil sie gesehen haben, dass sie hier eine komplexe Rolle und einen echten Menschen spielen können. Wenn man in Rom aus dem Fenster schaut, sieht man plötzlich eine Nonne, die eine Zigarette raucht, oder zwei Priester, die einen Café an der Straßenecke trinken, oder einen Bischof, der mit der Aktentasche über die Straße läuft.

So wollte ich die Menschen in diesem Film darstellen. Als Menschen wie Sie und ich, die zur Arbeit gehen, die Fehler machen, Sünden begehen oder über das, was sie getan haben, Reue empfinden. Sie haben Stärken, sie können lachen und weinen. Wenn mächtige Kirchenmänner wie Adeyemi und Tremblay fallen, dann zerbricht auch etwas in ihnen als Mensch. Das zu zeigen, war uns sehr wichtig.

Als Schwester Agnes verkörpert Isabella Rossellini die untergeordnete Stellung der Frau in der katholischen Hierarchie. Beim Filmfestival in San Sebastian gab es Szenenapplaus, als sie mit leicht ironischer Demut die Vorwürfe gegen einen prominenten Kardinal bestätigt. Was ist das für eine Figur und inwieweit ist sie eine Hoffnungsträgerin?

Sie verkörpert alles, was in diesem Film feminin ist. Da gibt es ja einiges. Auch die Zweifel von Kardinal Lawrence würde ich als eher feminin, als traditionell feminin bezeichnen. Schwester Agnes hat eine schweigende Rolle. Sie ist von den Männern in die dreißigste Reihe zurückgedrängt worden. Doch wenn sie das Schweigen bricht, dann spricht sie uns aus dem Herzen. Dann jubeln wir für sie, weil sie für uns den Mund aufmacht und diese Männer durchschüttelt. Sie rächt sich mit einem ganz simplen Statement.

Es macht eine Höllenfreude, das mit Publikum im Kino zu sehen. Der Applaus für sie ist umso befreiender, weil man das selbst genauso fühlt. Schwester Agnes und Kardinal Lawrence bewegen sich innerhalb des ältesten Patriarchats der Welt, in dem sich nichts verändert und nichts bewegt, bis zum Ende. Am Schluss aber gibt es vielleicht einen kleinen Riss, und durch diesen Riss scheint das Licht der Hoffnung oder auch der Veränderung, die auch Kardinal Lawrence akzeptiert. Das ist der erste Schritt, und den verkörpert Isabella Rossellini den ganzen Film hindurch.

Die Bildgestaltung wird stark von Kontrasten geprägt, von Licht und Dunkelheit, aber auch von den dominierenden Farben Rot, Weiß und Grau. Was ist das ästhetische Konzept von “Konklave”?

Im Grunde läuft alles auf diese letzte Einstellung hinaus. Auf den Hoffnungsschimmer, auf die Zukunft. Die ist weiblich, und das bedeutet Lachen, Sonne, Wind und Natur. Die Fenster stehen offen, Luft strömt herein. Ich wusste ja, dass wir in der Sixtinischen Kapelle drehen müssen, denn da finden die Wahlgänge statt. Das ist große ekklesiastische Architektur; die soll den Menschen dazu bringen, sich ganz klein und unbedeutend zu fühlen.

Im Kontrast dazu bleibt der Film ganz nahe bei Kardinal Lawrence und versucht seine Gedanken zu lesen. Dabei spielen wir natürlich mit dem Kontrast zwischen Close-ups und weiten Einstellungen. Den Kontrast zur Sixtinischen Kapelle bildet das Gästehaus Santa Marta. Das haben wir wie ein Gefängnis gebaut: Marmor, eng, dunkel, mit heruntergelassenen Jalousien. Es gibt keine Fernseher in den Zimmern, alles ist still. Wenn Kardinal Lawrence die Tür schließt, ist von der Welt da draußen nichts mehr zu hören. Man hört nur seinen Atem und das Brummen des Neonlichts.

Ich wollte, dass man sich eingeengt fühlt, gefangen; zudem haben die Wände Ohren. Doch ganz am Schluss, wenn alles vorbei und der neue Papst gewählt ist, gehen die Jalousien wieder hoch und das Fenster öffnet sich. Aus dieser bedrückenden Schwere geht es plötzlich hinaus in eine Unschuld, weiß und leicht. Das sollte sozusagen eine Reise in die Farbe und das Licht sein. Man soll sich als Zuschauer selbst auch erleichtert fühlen, wenn statt all dem schweren Gerede endlich ein helles, lockeres Lachen erklingt, ein glückliches Lachen.

Wie haben Sie diesen Vatikan konstruiert zwischen Santa Marta und der Sixtinischen Kapelle? Wie viele Drehorte gab es, um diesen Mikrokosmos zu schaffen?

Wir haben viele Motive in Rom gedreht, in und um Rom, in Palästen und Höfen, aber nicht in Kirchen. Die Ansicht der großen Gebäude haben wir dann im kaiserlichen Palast in Caserta aufgenommen. So entstand dieser Ort in unserer Imagination. Ich war auch im Vatikan, um mich inspirieren zu lassen. Drehen konnten wir dort aber nicht. Wir haben in Cinecitta die Sixtinische Kapelle und nebenan die Casa Santa Marta nachgebaut. Das erlaubte uns eine hohe Flexibilität, wie es für die Dreharbeiten am besten war.

Im Gegensatz zu anderen Vatikan-Thrillern, etwa den Dan-Brown-Verfilmungen oder älteren Vatikan-Filmen besitzt “Konklave” kaum plakative Postkartenmotive. Wie schwer war es, diesem Kanon an folkloristischen Bildern, etwa der Schweizergarde, zu entgehen?

Wir haben sogar auf eine Totale auf Rom verzichtet; man sieht Rom im ganzen Film nicht als Stadt. Das kennt man ja. Man weiß, wie der Petersplatz aussieht, mit seinen Massenaufläufen oder wenn der weiße Rauch aufsteigt. Deswegen zeigen wir das nicht. Wir bleiben immer bei Kardinal Lawrence, immer bei der Hauptfigur. Wo er langgeht, gehen wir auch lang, und Lawrence geht nun mal nicht durch Rom. Wir haben andere Bilder: den Papst im Leichensack, Kardinäle mit iPhones und Zigaretten. Das sind normale Menschen, die das gleiche machen, wie andere Menschen auch. Es gab in einer Drehbuchfassung sogar eine Szene, wo der Papst am Ende auf den Balkon geht. Das ist auch so ein bekanntes Bild.