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Organspenden haben nicht nur körperlich massive Folgen

Viele Menschen warten in Deutschland jahrelang auf ein Spenderorgan, manche vergebens. Und auch mit der Spende sind die Empfänger nicht alle Sorgen los. Was das bedeutet, erklärt Psychologin Sylvia Kröncke.

Knapp 8.500 Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende. Nach einiger Zeit auf einer Warteliste erhalten sie schließlich ein Spenderorgan und alles ist gut, Ende der Geschichte? Ganz so einfach ist es nicht. Oft wird nicht bedacht, dass der Vorgang nicht nur für den Organspender, sondern auch für den Empfänger mit Folgen verbunden ist.

“Manche glauben, man kann nach einer Organspende sein Leben so weiterführen wie vor der Krankheit. Das ist tatsächlich nicht so”, weiß Sylvia Kröncke von der Spezialambulanz Transplantationspsychologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Zum Tag der Organspende am 1. Juni erklärt sie, was das zweite Leben nach einer Operation für die Empfänger bedeutet.

Ein Punkt sind vor allem medizinische Begleiterscheinungen einer Transplantation, so die Psychologin. “Man ist nach einer Organtransplantation chronisch krank. Man muss lebenslang Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken, damit das Organ nicht abgestoßen wird.” Diese Medikamente brächten Nebenwirkungen mit sich: “Das Krebsrisiko ist erhöht, vor allem die Gefahr, an Hautkrebs zu erkranken.” Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien ein Thema, weil die Medikamente häufig Bluthochdruck und hohe Blutfettwerte verursachten.

Um den Begleiterscheinungen der Medikamente entgegenzuwirken, müssen Patienten auf eine gesunde Lebensführung achten und einige Verhaltensregeln einhalten, empfiehlt Kröncke: “Man sollte zum Beispiel nicht rauchen und bei Lebensmitteln mit hohem Infektionsrisiko aufpassen, wie beispielsweise bei rohem Fleisch oder rohen Eiern.” Zuzüglich regelmäßiger Kontrollbesuche beim Arzt gehören solche Regeln langfristig zum Alltag der Betroffnen. Denn eine Organspende beschäftigt die meisten nicht nur ein Mal im Leben: “Die Funktion der meisten Spenderorgane wird irgendwann schlechter.”

Schon durch diese “Ablaufzeit” der Organe bringe die Transplantation für Empfänger auch psychische Herausforderungen mit sich. “Da ist dann schon diese Angst da, wie lange das Organ funktioniert”, erklärt die Psychologin. Auch vorher brauchten viele Patienten Zeit, um sich für die Spende zu entscheiden. “Man muss erstmal akzeptieren, dass man schwer krank ist. Manche hoffen, dass sich das eigene Organ doch noch erholt oder dass man noch mehr Zeit hat.”

Auch die psychische Abstoßung eines fremden Organs im eigenen Körper sei möglich. “Aber nicht so häufig, wie gemeinhin gedacht wird”, sagt Kröncke. Solche Probleme träten eher bei äußeren Transplantationen auf, etwa von Hand oder Gesicht, wobei sich Menschen in ihrem Körperbild gestört fühlten. Bei inneren Organen komme es, wenn überhaupt, eher beim Herzen zu Problemen. “Wir haben es schon erlebt, dass Menschen in ihrer Körperintegrität gestört waren und es schwer für sie war, mit einem fremden Organ zu leben. Hier helfen wir den Menschen psychologisch, das Organ als Geschenk anzunehmen.”

Denn obwohl medizinische und psychologische Nebenwirkungen vielfältig sein können, sei eine Organspende für die meisten Patienten genau das: ein Geschenk, das sie gerne annehmen. “Außer bei der Niere ist es schließlich die Wahl zwischen Leben und Tod. Und selbst bei der Niere muss man zwischen Spende und Dialyse wählen.” Für die Patienten ermögliche die Transplantation ein neues Leben. “Die Leute sind ja schwer krank. Mit einer neuen Lunge spüren die Patienten zum Beispiel wieder, wie es ist, frei zu atmen”, berichtet Kröncke aus dem Alltag der Uniklinik.

Problematisch ist laut Kröncke, dass Patienten so lange auf Organe warten müssen. Die Zahl der Organspender in Deutschland sei weit vom Bedarf entfernt. Den rund 8.500 Personen auf Wartelisten standen im Jahr 2022 nur 869 Menschen entgegen, die nach ihrem Tod spendeten. Zum Vergleich: Im selben Jahr sind laut Statistischem Bundesamt in ganz Deutschland 1,06 Millionen Menschen gestorben – 743 davon standen laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf einer Organ-Warteliste.

Für Kröncke ist klar, dass sich das Spendeverhalten in Deutschland ändern muss. “Wir haben Patienten, die schon Jahre auf der Warteliste stehen und denen es immer schlechter geht. Das ist psychisch eine starke Herausforderung. Man weiß nie, ob die Organspende noch rechtzeitig kommt.”

In vielen EU-Ländern gibt es zur Steigerung von Spenden bereits die sogenannte Widerspruchslösung, wonach grundsätzlich Spender ist, wer nicht aktiv widerspricht. “Früher war ich da skeptisch, inzwischen glaube ich, dass es gar nicht anders geht. Alle Versuche der Freiwilligkeit sind gescheitert, weil viele Menschen sich scheuen, über das Thema nachzudenken. Das führt dazu, dass die Entscheidung im Todesfall zumeist von den Angehörigen getroffen werden muss”, meint Kröncke. Insofern sollte jede und jeder zu Lebzeiten für sich eine eigenständige Entscheidung für oder gegen eine Organspende treffen.