Der deutsche Protestantismus kennt nicht nur große und kleine Kirchen, liberale und konservative Strömungen, sondern auch eine Vielfalt kirchlicher Amtsbezeichnungen. Kirchenpräsident, Landessuperintendent, Präses, Bischof oder Landesbischof, selbst Schriftführer werden die Leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen genannt. Auf der mittleren Ebene wird es noch vielfältiger: Neben Regional- und Sprengelbischöfen gibt es Prälaten und Pröpste, Superintendenten, Landes- und Generalsuperintendenten, Dekane, Kreispfarrer und -dekane.
Lutherische Kirchen haben Bischöfe
In zwölf der 20 evangelischen Landeskirchen wird die Leitung vom Bischof zusammen mit anderen Gremien wahrgenommen. In allen lutherischen und drei unierten Kirchen (Baden, Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Kurhessen-Waldeck) gibt es Bischöfe. Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland kennt sogar eine Bischofskonferenz als Leitungsorgan. Und es könnten noch mehr werden.
So gibt es in der Evangelischen Kirche von Westfalen einen Vorstoß, in der Kirchenordnung die Bezeichnung Präses durch Bischof zu ersetzen. Um von „normalen Menschen“ verstanden zu werden, sollte klar und verständlich gesagt werden, „wer das eigentlich ist, eine Präses, ein Präses: eine Bischöfin, ein Bischof“, begründen die Initiatoren den Antrag. Zumal in Westfalen – ebenso wie im Rheinland – das Präsesamt dem eines Bischofs entspreche. Die westfälische Präses Annette Kurschus leitet die Landessynode, steht zugleich an der Spitze von Kirchenleitung sowie Landeskirchenamt und vertritt die Kirche in der Öffentlichkeit. Die Landessynode soll im Jahr 2016 über eine entsprechende Änderung der Kirchenordnung der viertgrößten deutschen Landeskirche beraten.
Auch reformierte Kirchen wollen Titel ändern
In der Evangelischen Kirche im Rheinland sei der Bischofstitel kein Thema, ließ der rheinische Präses Manfred Rekowski wissen. Die Aufgaben des Präses seien in der Kirchenordnung klar definiert, betonte der 57-jährige Theologe, der seit knapp drei Jahren an der Spitze der zweitgrößten deutschen Landeskirche steht. „Wir haben da überhaupt keinen Handlungsbedarf und die Frage der öffentlichen Wirkung hängt, glaube ich, weder an Textilien noch an Titeln.“
Noch vor wenigen Jahren war ein Vorstoß in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gescheitert. Im Zuge einer Revision der landeskirchlichen Verfasssung war geplant, die Bezeichnung Kirchenpräsident durch Bischof zu ersetzen. Zwar kam es 2009 zu einer Bereinigung in den Leitungsorganen, aber der Bischofstitel fand keinen Anklang. Doch selbst in den dezidiert reformierten Kirchen der Niederlande und der Schweiz mit ausgeprägt presbyterialer Ordnung wird über den Bischofstitel nachgedacht. Bei der Generalsynode der Protestantischen Kirche der Niederlande fand ein entsprechender Vorschlag Beifall. Ein Bischof sei gut für das ökumenische Miteinander, ist ein Argument der Befürworter. Gerade in einer Zeit, in der die Reformierten den Charakter als Volkskirche einbüßen, sei eine erkennbare Figur, „eine Art Bischof“ gefragt, argumentiert Generalsekretär Arjan Plaisier.
So weit sind die Reformierten in der Schweiz einstweilen noch nicht – aber die Argumentation ist ähnlich: Die Bischofsdebatte findet dort vor dem Hintergrund einer Verfassungsrevision des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes statt, der 26 Kirchen mit zusammen 2,4 Millionen Mitgliedern vereint. Sie soll zu einer größeren Sichtbarkeit der reformierten Kirche auf nationaler Ebene beitragen. In dem Entwurf wird – wohl aus Rücksicht auf Empfindlichkeiten gegenüber dem katholisch-hierarchischen Bischofsverständnis – die Bezeichnung Bischof vermieden, stattdessen ist von einem Präsidenten mit episkopaler Funktion die Rede. In den reformierten Kirchen in Rumänien und Ungarn gibt es den Bischofstitel bereits.
Bis ins 20. Jahrhundert war in den evangelischen Kirchen in Deutschland die Bezeichnung Bischof für das geistliche Leitungsamt weithin unbekannt. Während der Reformationszeit ging mit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) die rechtliche Kirchenleitung an den Landesherrn über. Bischöfliche Funktionen nahmen danach Superintendenten wahr, deren Titel eine lateinische Fassung des griechischen „Episkopus“ (Bischof) ist. Erst nach dem Ende von Monarchie und landesherrlichem Kirchenregiment in Deutschland 1918 gab es in Kirchenverfassungen Ansätze eines evangelischen Bischofsamtes. Otto Dibelius (1888-1967), Leiter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, nannte sich nach 1945 Bischof. Die Bezeichnung Generalsuperintendent werde von den Besatzungsmächten in der geteilten Stadt nicht verstanden, argumentierte er. (S. Kommentar)