Artikel teilen:

Nur Du, die Wildnis und Gott

„Into the wild“ ist ein Outdoor-Projekt mit einer persönlichen Frage im Gepäck. Neun junge Menschen haben eine Nacht allein im Harz verbracht. Unsere Redakteurin Rebekka Krüger war dabei.

Unsere Redakteurin Rebekka Krüger würde noch mal eine Nacht im Wald in einem selbst gebauten Tarp verbringen
Unsere Redakteurin Rebekka Krüger würde noch mal eine Nacht im Wald in einem selbst gebauten Tarp verbringenRebekka Krüger

„Salbei steht für den Anfang“, sagt Wildnispädagoge Joerg Urbschat. Er nimmt eine Schale mit Salbei und zündet die Blätter an. Durch den Rauch sei jeder mit allen Sinnen dabei, das Verbrennen eine Metapher für Transformation. „Hier passiert was mit einem“, ist sich Urbschat, der auch Referent für Männerarbeit in der Nordkirche ist, sicher. Aber diesmal ist es auch für ihn etwas anderes. „Sonst schauen wir oft auf das Leben zurück“, erzählt der Naturmensch, der sonst Männergruppen in den Fünfzigern in der Waldhütte empfängt. „Diesmal stehen viele noch am Anfang ihres Lebens und gucken vor allem nach vorn!“

Mit Anna Ihme vom Evangelischen Kinder- und Jugendbüro Nordfriesland haben wir uns zu zehnt auf die Reise mit Kleinbussen von Niebüll (Schleswig-Holstein) über Husum bis nach Altenau im Harz gemacht. Die Aktion ist für Teilnehmende ab 18 Jahren. „Wir wollten auch mal was für unsere Älteren machen“, sagt Ihme grinsend. „Es geht bei diesem Projekt nicht darum, in der feindlichen Natur zu überleben, sondern mit ihr zu leben und sich verbunden zu fühlen“, sagt Urbschat.

Am nächsten Tag bekommen wir eine schwarz-weiße Karte vom Areal. Ein See ist zu sehen, drei Berghänge – insgesamt rund 4000 Quadratmeter, auf denen jeder einen eigenen Schlafplatz finden wird. Einen Tipp bekommen wir noch mit: „Schaut nach oben, bevor ihr euer Tarp aufschlagt“, sagt Urbschat. „Herunterfallende Äste sind gefährlich.“ Totholz gibt es hier viel und auch das Tarp, eine gespannte Plane, die uns vor Regen schützen soll, kann da nicht helfen.

Auch im Kopf wird es plötzlich ruhig

Meinen Schlafplatz finde ich in einem jungen Birkenwald. Alles steht, ist regensicher verstaut. Erst jetzt schaue ich mich richtig um. Es ist grün, ruhig und schön, bis mir – hinter ein paar dichten Ästen – eine große Stelle auf dem Boden auffällt: Sie ist umgewühlt und sieht verdächtig nach Wildschwein aus. Ein kurzer Moment der Panik kommt auf. Das muss nichts heißen, und der Himmel sieht schon viel zu sehr nach Regen aus, um mein Tarp woanders aufzustellen.

Mitten in der Wildnis des Harzes war die Gruppe unterwegs
Mitten in der Wildnis des Harzes war die Gruppe unterwegsRebekka Krüger

Bis der Regen anfängt, möchte ich mich draußen beschäftigen. Also schnitze ich und warte auf die Langeweile, aber sie kommt nicht. Es ist ruhig – auch in meinem Kopf. Ich ziehe mich unter die gespannte Plane zurück, mache es mir so warm es geht und schlafe ein.

Plötzlich wache ich auf. Da knackt etwas! Ich reiße die Augen auf. Nichts. Noch nie zuvor habe ich so eine dunkle Nacht erlebt. Umgeben von niedrigen Bäumen und Sträuchern, alle Sterne von dunklen Wolken bedeckt. Schritte nähern sich. Ich halte die Luft an. Moment, nein, keine Schritte, das sind Pfoten. Ich beruhige mich etwas.

Da ist sie wieder, die bekannte Frage, ob sich Frauen mehr vor großen Tieren oder doch vor Männern fürchten. Ich dachte immer, dass das nicht so leicht zu entscheiden sei. Und doch war meine erste Reaktion auf die leichteren Schritte eines Tieres pure Erleichterung.

Das Tier darf hier sein

Das Tier kommt näher, bleibt neben meinem Tarp stehen und riecht. Eine ganze Weile liege ich da, bewege mich nicht, halte immer wieder die Luft an. Ich denke an Joergs Lektion: „Du bist immer in jemandes Wohn-, Schlaf- oder Esszimmer.“ „Es ist o.k.“, denke ich. „Das Tier darf hier sein.“ Eher komme ich mir wie ein Eindringling vor. Irgendwann kann ich mich aus meiner Starre lösen, raschel mit meinem Schlafsack und schlafe wieder ein. Vielleicht doch ein wenig gemeinsam mit der Natur.

Erst am nächsten Morgen wache ich auf, es muss gestürmt und geregnet haben, mein Tarp hat sich an einer Seite gelöst und klebt nass an meinem Schlafsack. Trotzdem ist es gemütlich. Ich muss mich überwinden, aufzustehen, das Equipment abzubauen und dem Schlafplatz Danke und Lebewohl zu sagen.

Langsam trudeln alle in der Hütte ein, alle haben es geschafft. Wir sitzen zusammen, frühstücken, erzählen Erlebtes. „Die Geschichten zu erzählen, gehört genauso dazu, wie sie zu erleben“, sagt der Wildnispädagoge. Jeder hat viel erlebt. Das Gleiche und doch anders. Wir berichten von Frischlingen, Gedanken, Geräuschen. Mit viel mehr Selbstvertrauen als gestern.

Als Anna Ihme auf dem Rückweg fragt, ob wir das noch mal machen würden, sind wir uns einig: Auf jeden Fall – dann aber mindestens für zwei Nächte.