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November-Serie „Leben bei den Toten“: Friedhof Ohlsdorf

Der Friedhof Ohlsdorf ist nicht nur größter Parkfriedhof der Welt, sondern auch Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Die gilt es zu bewahren, sagt Nabu-Biologin Stefanie Zimmer.

Nabu-Biologin Stefanie Zimmer auf dem Friedhof Ohlsdorf
Nabu-Biologin Stefanie Zimmer auf dem Friedhof OhlsdorfMarieke Lohse

Der Friedhof Ohlsdorf ist nicht nur der größte Friedhof Europas, sondern auch Heimat für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Auch der seltene Eisvogel ist schon das eine oder andere Mal gesehen worden. Er lebt gerne an fließenden, reinen Gewässern, denn die haben einen guten Fischbestand, sodass er Nahrung findet.

„Die Hälfte des Friedhofs ist naturnah gestaltet“, erklärt Stefanie Zimmer vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Hamburg. „Wir haben hier verschiedene Lebensräume. Gehölze, verschiedene Baumarten und vor allem einen sehr alten Baumbestand“, ergänzt sie. Aber auch heckenstrukturartige Bereiche, offene Flächen mit Wiesen sowie Teiche und Bachläufe gibt es.

Die sind vor allem Lebensraum für Wasservögel aller Art: Enten und Gänse, aber auch Amphibien fühlen sich hier wohl. „Wir haben die gängigen Stadtvögel oder Gartenvögel wie Amsel, Rotkehlchen, Blaumeise und Co“, zählt die Biologin auf. „Aber durch die naturnahe Gestaltung haben wir hier Arten, die wir sonst nicht so schnell sehen.“ Etwa den Kleiber oder den Kernbeißer. Und noch ein seltener Verwandter gesellt sich zu ihnen: „Viele wissen, dass es den Uhu hier am Ohlsdorfer Friedhof gibt, auch eine geschützte Art. Das liegt sicherlich an dieser Ruhe hier, aber wahrscheinlich auch an dem hohen Baumbestand.“

Zwischen Hecken, Sträuchern, Bäumen und Wiesen wohnen auch viele bekannte Säugetiere, die in unzähligen Arten vorkommen. Außerdem lebt von insgesamt 14 Fledermausarten, die in Hamburg vorkommen, rund die Hälfte hier. „Wir haben die ganz gängigen Stadtsäugetiere, die man eher auch ein bisschen außerhalb oder an der Grenze der Stadt finden würde: Rehe, Füchse und Marder zum Beispiel“, sagt Zimmer. Aber auch der nichtheimische Waschbär wurde hier schon entdeckt.

Friedhof Ohlsdorf: Pflanzen über Jahrhunderte ungestört

Warum die Tiere hier alle so gut leben können, liegt auch an den Pflanzen, weiß die Biologin: „Das macht den Ohlsdorfer Friedhof wieder besonders. Dass wir hier einen sehr hohen Bestand an Laubgehölzen haben, die ja heimisch bei uns sind.“ Eine große Vielfalt von Buchen, Eichen und Birken zum Beispiel. Aber auch ursprünglich nicht einheimisches Nadelgehölz. „Diese Mischung macht es aus.“

Und noch ein Aspekt macht den Friedhof als Lebensraum für Artenvielfalt aus: „Man ist hier auf dem Ohlsdorfer Friedhof oder auf anderen Friedhöfen so ein bisschen von der Außenwelt abgeschottet.“ Das bedeutet zum einen, dass viele Pflanzenarten hier ungestört über Jahrhunderte überleben können. Zum anderen herrscht zwischen den Gräbern absolute Nachtruhe – die Tore schließen um 21 Uhr. Danach haben wir Menschen, lebendig zumindest, hier nichts mehr verloren. „In der Nacht ist es ruhig, es gibt keine Lichtverschmutzung, wir haben keine Helligkeit“, erklärt Stefanie Zimmer. „Einfach eine ganz besondere Ruhe!“

Wildblumenwiese für Artenvielfalt

Der Ohlsdorfer Friedhof hat verschiedene Areale. Besonders idyllisch ist die riesige Waldfläche. Hier wird nichts gerodet, sondern alles stehen gelassen. So finden die verschiedenen Tiere wieder eine andere Art von Unterschlupf und Nahrung. „Aber auch eine Möglichkeit, ihre Brut hier in den Bäumen aufzuziehen, wenn sie das benötigen, Baumhöhlen zum Beispiel“, weiß Zimmer.

Ein weiteres Areal ist eine große Freifläche, auf der vor einigen Jahren eine Wildblumenwiese angelegt worden ist. „Sehr hell, sehr offen, sehr sonnig. Und die zieht besonders Insekten an. Deswegen haben wir auch bei ihnen eine wahnsinnige Artenvielfalt.“ Vor allem gibt es hier eine hohe Anzahl an Schmetterlingen. „Und wir wissen, Schmetterlinge gehen immer mehr und mehr zurück. Daher ist das ganz schön zu sehen.“ Auch für viele Wildbienenarten ist die Wiese ein großes Paradies mitten in der Stadt.

Dass hier so viel Leben an einem Ort ist, der für viele Verstorbene der Ort der letzten Ruhe ist, findet Stefanie Zimmer nicht verwunderlich. „Das ist ja ein Ort der Stille, ein besinnlicher Ort. Und deswegen ist es eigentlich verständlich, dass sich hier auch Leben drum herum entwickeln darf, das diese Stille, diese Besinnung als etwas Schönes und wichtigen Rückzugsort empfindet.“ Daher sei es wichtig, die Natur hier weiter zu schützen. „Vielleicht auf den Wegen zu bleiben, nicht in jede Hecke reinzugehen, damit man die Tiere nicht aufscheucht.“ Das seien Kleinigkeiten, die jeder tun könne, um der Natur ein bisschen Respekt und Achtsamkeit entgegenzubringen. „Um dann mit der Natur eins zu sein und sie dadurch zu schützen.“