Zu ihren Ahnen zählen Liszt und Wagner. Das kann Fluch und Segen zugleich sein, wie Nike Wagners Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln zeigt. An Pfingstmontag wird die Intendantin und Publizistin 80 Jahre alt.
Ist es eher Fluch oder Segen, zum “Wagner-Liszt-Clan” zu gehören? Das ist ein Lebensthema von Nike Wagner. Die Urenkelin von Richard Wagner (1813-1883) und Ururenkelin von Franz Liszt (1811-1886) kann hier aus vielfältigen Erfahrungen schöpfen. Dem Erbe ihrer berühmten Vorfahren widmet sich die Musik-, Theater-, Kultur- und Literaturwissenschaftlerin bis heute mit Leidenschaft. Am Pfingstmontag (9. Juni) wird Nike Wagner 80 Jahre alt.
Geboren am 9. Juni 1945 in Überlingen am Bodensee, wuchs sie in Richard Wagners “Villa Wahnfried” in Bayreuth auf. Ihre Eltern waren die Tänzerin und Choreografin Gertrud Reissinger (1916-1998) und der Regisseur Wieland Wagner (1917-1966). Ihm kam es zu, gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang (1919-2010) die Bayreuther Festspiele neu zu erfinden und auch Verquickungen mit dem Nationalsozialismus aufzuarbeiten – ein Thema, mit dem sich Nike Wagner eingehend auseinandergesetzt hat, etwa in ihren Büchern “Wagner Theater” und “Über Wagner”.
Nach dem frühen Tod Wielands führte Wolfgang Wagner allein das Zepter auf dem “Grünen Hügel”. Immer wieder machte Nike, die unter anderem in Berlin, Paris, Wien und den USA studierte und mit einer Arbeit über Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne promoviert wurde, ihren Anspruch auf Beteiligung an der Festspielleitung geltend. Doch – ob durch Entscheidungen von Findungskommissionen oder Ränke des “Wagner-Clans” – es kam anders.
Nike Wagner schlug als Publizistin und Kulturwissenschaftlerin eigene Wege ein. Von 2004 bis 2013 war sie Intendantin des Kunstfestes Weimar, gab ihm den Titel “Pèlerinages” (“Pilgerfahrt”) und widmete es Liszt. Für ihre Dramaturgie, die im Zusammenspiel von Musik, Tanz, Bild und Wort künstlerische Maßstäbe gesetzt habe, erhielt sie 2013 den Thüringer Verdienstorden.
Auch beim Internationalen Beethovenfest, das sie ab 2014 leitete, brachte Wagner verschiedene Kunstgattungen zusammen. Allerdings hatte sie damit zu kämpfen, dass Bonn durch die jahrelange Sanierung der Beethovenhalle eine große Spielstätte fehlte. Statt dessen wich man mehrere Jahre ins World Conference Center Bonn (WCCB) aus, das bei allem Bemühen weder Akustik noch Atmosphäre eines klassischen Konzertsaales bot.
Obendrein äußerten Kritiker, die hohe Auslastung des Festivals sei in Wagners Amtszeit zurückgegangen. Bonn wolle es gemütlich und althergebracht, entgegnete die Intendantin. Zum 250. Geburtstag Beethovens 2020 schienen jedoch die Wogen geglättet, die Bonner zeigten sich stolz auf ihren großen Sohn und seine Botschafterin. Doch machte die Corona-Pandemie viele Punkte des liebevoll gestalteten Programms zunichte; Nike Wagner, deren 75. Geburtstag mitten in die Pandemie fiel, setzte alles daran, möglichst viele Veranstaltungen ins kommende Jahr hinüberzuretten. “Das wäre der Traum!”, sagte sie damals – fast prophetisch: “Er wird aber wohl nur teilweise zu realisieren sein.”
Letztlich wurde das große Jubiläum zum Erfolg, auch dank Nike Wagner, deren Vertrag mit Blick auf Corona bis Spätherbst 2021 verlängert wurde. Sprachrohr Beethovens zu sein, scheint ihr in die Wiege gelegt: Es war Franz Liszt, der eine Konzerthalle, ein Denkmal und ein Fest zu Ehren Beethovens initiierte. “Es hat Liszt geärgert, dass die Bonner offenbar nichts zustande bringen würden zu Beethovens 75. Geburtstag, deshalb nahm er die Sache in die Hand”, so seine Nachfahrin.
Inzwischen ist Nike Wagner, die in Wien lebt, vor allem als Publizistin tätig und hält etwa Vorträge über ihre musikalischen Vorfahren. Am 15. Mai erhielt sie den “Franz Liszt Ehrenpreis” der “Neuen Liszt Stiftung” und der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Die mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin ist bereits Ehrendoktorin der nach ihrem Ururgroßvater benannten Musikhochschule.