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Nichts gelernt

122 Staaten haben einen Vertragsentwurf bei der UNO verabschiedet, der Atomwaffen verbietet. Nun muss er noch ratifiziert werden. Leider haben Atommächte wie die USA, Russland und Deutschland angekündigt, ihn nicht zu unterzeichnen. Xanthe Hall vom IPPNW kommentiert, warum der Vertrag außerordentlich bedeutsam ist und erinnert an die unvergessenen Opfer von Nagasaki und Hiroshima.

Einen Vertragsentwurf, der Atomwaffen verbietet, verabschiedeten im Juli in New York 122 Staaten der Erde. Ab dem 20. September soll er ratifiziert werden. Wenn mindestens 50 Staaten ihn unterschreiben, tritt er 90 Tage später in Kraft. Ändern würde es allerdings kaum etwas.Die Atommächte USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea, die zusammen über etwa 14900 Atomsprengköpfe verfügen, machen keinerlei Anstalten, das Verbot zu unterzeichnen. Auch Deutschland und die meisten anderen NATO-Staaten weigern sich. Dabei zeigt das Gedenken an den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945, wie verheerend die Folgen sind.Von Xanthe HallSeit über 70 Jahren arbeiten die „Hibakusha“, die Überlebenden der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki, auf ein Ziel hin: dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden. In zahllosen Vorträgen und Artikeln erzählten die „Hibakusha“ ihre Geschichten, die immer wieder in den Aufruf mündeten: „Nie wieder Hiroshima! Nie wieder Nagasaki!“ Niemand sollte das Leid erleben, das sie erlitten hatten.Nun ist ein wichtiger Meilenstein erreicht. Nahezu unbeachtet von der Weltöffentlichkeit haben die Vereinten Nationen (UN) einen Vertrag zur Ächtung von Atomwaffen ausgehandelt und abgeschlossen. 122 Staaten verabschiedeten ihn am 7. Juli. Nur die Niederlande waren dagegen. Allerdings boykottierten etwa 40 Nationen die Verhandlungen, darunter die neun Staaten, die Atomwaffen besitzen und die meisten ihrer Bündnispartner – auch Deutschland.Der Vertrag verbietet den Einsatz von Atomwaffen unter jeglichen Umständen. Mit seinem Inkrafttreten wäre die Hauptforderung der Hibakusha geltendes Völkerrecht. Für diesen UN-Prozess hat sich vor allem die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) eingesetzt. Sie arbeiteten mit humanitären Organisationen, der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung und einer Gruppe von Staaten aus drei Kontinenten zusammen, um einen weiteren Atomwaffeneinsatz und Atomkrieg zu verhindern. Die humanitären Folgen eines solchen Einsatzes wären so verheerend und das heutige Risiko so hoch, dass es unakzeptabel ist, Atomwaffen weiterhin zu dulden. Die UN-Vollversammlung beschloss daher, Verhandlungen über einen Verbotsvertrag aufzunehmen.Alle anderen Versuche, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen, sind bis jetzt gescheitert. Nun stehen wir vor der Wahl: Soll es weiterhin erlaubt sein, dass eine Handvoll Staaten ein Damoklesschwert über die Welt hält? Die Atommächte interpretieren den bisher geltenden Atomwaffensperrvertrag von 1968 so, dass sie ihre Arsenale aufrechthalten, bis es Weltfrieden gibt – also bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Noch schlimmer: Neuerdings argumentieren sie sogar, diese Arsenale müssten sowohl „sicher“ als auch „zuverlässig“ sein, sonst wäre die nukleare Abschreckung nicht mehr glaubwürdig. Damit rechtfertigen sie eine weitere Aufrüstung, die aktuell massiv in Gange ist.Die UN hält es daher für notwendig, nicht nur den Einsatz, sondern auch die Androhung eines Atomwaffeneinsatzes zu verbieten. Das Fundament der nuklearen Abschreckung ist somit delegitimiert. Wenig überraschend war die Reaktion der westlichen Atomwaffenstaaten, die schon Minuten nach der Verabschiedung erklärten, sie würden diesem Vertrag niemals beitreten. Ein Blick auf die Staatschefs der Atomwaffenstaaten und ihr Verhalten in letzter Zeit macht deutlich, dass wir nicht dauerhaft auf die Rationalität und Zurückhaltung der Atomwaffenbesitzer zählen sollten. Schon die Nordkorea-Krise und die zahlreichen gegenseitigen Drohungen mit nuklearen Mitteln sollten für die Bundesregierung ausreichen, um endlich zu handeln und sich dem Verbotsvertrag anzuschließen. Das will laut jüngsten Umfragen auch die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung.Die Autorin Xanthe Hall ist Atomwaffenexpertin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW).