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Nicht rundum gelungenes Drama über den Armenpriester Abbe Pierre

Biografisches Drama über den französischen Priester Henri Antoine Groues alias Abbe Pierre, der die Emmaus-Gemeinschaft zur Bekämpfung von Armut und Obdachlosigkeit gründete.

Es beginnt 1937: Der Spross einer betuchten Familie übt in einem Kapuzinerkloster Entsagung. Sieben Jahre lebt er schon unter den Mönchen, als ihm der Prior mitteilt, dass er zu oft krank und dem entbehrungsreichen Leben nicht gewachsen sei. Seine Berufung läge anderswo, vielleicht als Priester in einer Gemeinde in der Umgebung von Paris.

137 Minuten später endet der Film in den frühen 2020er-Jahren mit Straßenimpressionen von Bettlern und Obdachlosen. Dazwischen entfaltet sich die Vita des aus dem Kloster verwiesenen Mannes. Sein Name: Henri Antoine Groues. Er wird 1912 als Sohn eines Seidenfabrikanten in Lyon geboren und stirbt 2007 in Paris. Bekannt wurde er unter dem Namen Abbe Pierre, einem Pseudonym aus der Zeit des französischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg.

Er habe nicht eines, sondern viele Leben gelebt, sagt der Geistliche (Benjamin Lavernhe) gegen Ende. Sein Weg war voller abrupter Wendungen und (Ver-)Wandlungen: Dem Verweis aus dem Kloster folgt zuerst eine Phase der Suche, des Zweifelns und Zögerns.

Groues wird 1938 zum Priester geweiht und im Dezember 1939 als Unteroffizier in den Kriegsdienst berufen. Er führt die ihm unterstellten Soldaten Richtung Front, bricht in Folge einer chronischen Entzündung aber schon vorher zusammen und wird nach wenigen Monaten aus dem Dienst entlassen. Ab 1940 arbeitet er als Seelsorger und Arme-Leute-Pfarrer. Um 1942/43 schließt er sich dem Widerstand an und hilft, jüdische Menschen und politisch Verfolgte über die Grenze zu schmuggeln.

In dieser Zeit begegnet er Lucie Coutaz (1899-1982). Sie stammt aus der Unterschicht, hat dank einer Wallfahrt nach Lourdes eine schwere Krankheit überstanden und engagiert sich jetzt für Bedürftige. Als sie auf Groues trifft, trägt sie die Kleidung einer Nonne und verpasst ihm den Decknamen Abbe Pierre; den Rest ihres Lebens verbringt sie an seiner Seite.

Es sind das Mitleid und die Fürsorge für die Ärmsten, die beide zusammenschweißen. Während Groues, der nach dem Krieg in die Nationalversammlung berufen wird und als Politiker Karriere macht, seinen Kampf gegen Armut und Obdachlosigkeit in der Öffentlichkeit führt, wirkt Coutaz im Hintergrund. Sie unterstützt Groues und hilft mit, als er 1949 Emmaus ins Leben ruft: eine Organisation zur Bekämpfung von Armut und Obdachlosigkeit. Die Gemeinschaft setzt auf Eigenständigkeit und baut auf Hilfe zur Selbsthilfe. Sie bietet Arbeits- und Wohnmöglichkeit und wird ein Erfolg. 1969 weitet Emmaus das Tätigkeitsfeld international aus; heute ist die Organisation in 39 Ländern aktiv.

Ein Film über eine so charismatische Persönlichkeit ist ein delikates Unterfangen. Zum einen, weil er sich an den kollektiven Erinnerungen messen lassen muss. Zum anderen, weil ein Biopic das Leben einer Person nie ganz darstellen kann. Der Film versucht, auch das Privat- und Innenleben des Abbes zu beleuchten, seine Zweifel und Ängste, seine Überzeugungen und die Arbeits- und Lebensweise.

Dabei aber bleiben Widersprüche, die zudem selbst zur Legendenbildung beitragen. Der Film skizziert das Leben von Abbe Pierre im chronologisch weiten Bogen und hebt entscheidende Momente hervor. Und das bis in die späten Jahre, die den Geistlichen nach einem psychischen Zusammenbruch zum Nachdenken bringen.

Die einzelnen Episoden sind in sich stimmig inszeniert und in der historischen Darstellung sorgfältig gestaltet. Sie verknüpfen sich aber bisweilen nur wenig, was zu einer gewissen Sprunghaftigkeit führt. Getragen und zusammengehalten wird der Film von Benjamin Lavernhe, der Groues eindringlich verkörpert.

Informativ und in einzelnen Momenten auch sehr überzeugend versucht der Film, den Zuschauern ins Gewissen zu reden. Er appelliert für eine bessere Gesellschaft und erklärt, dass der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Armut nie gewonnen werden kann, aber gleichwohl geführt werden muss. Das ist zwar nicht falsch, erweckt aber an manchen Stellen den unangenehmen Beiklang eines moralisierenden Werbefilms.