Vorsichtig, Schritt für Schritt, steigen Vanessa Kamrath und Marje Altenfelder von der Kaje des Bremer Stahlwerks aus die leicht schwankende Gangway zum Deck der „Aquadonna“ hinauf, immer am haushohen Rumpf des Erzfrachters entlang. „Shipvisitor“ steht auf den knallgelben Westen der beiden Frauen, die sie schon von weitem als Mitarbeitende der Bremer Seemannsmission ausweisen. In ihren Armen balancieren sie Kisten mit Weihnachtstüten für die Crew des Frachters, gut gefüllt unter anderem mit Schokolade, die alle Seeleute lieben: Süßes für die Seele.
“The seamen’s mission is coming” ruft oben der wachhabende Matrose in sein Walkie-Talkie und strahlt. Die Seemannsmission ist hier hoch willkommen, das ist vom ersten Moment an deutlich zu spüren. Und das liegt nicht nur daran, dass Vanessa Kamrath, Marje Altenfelder und ihr Chef, der Bremer Seemannsdiakon Magnus Deppe, Weihnachtstüten bringen, in diesem Jahr allein in Bremen 1.000. Die Seemannsmissionen haben weltweit bei den Schiffbesatzungen einen guten Ruf.
Geschenktüten für Seeleute an Bord der „Aquadonna“
„Wer an Bord kommt, will meistens was von der Crew“, verdeutlicht Magnus Deppe. „Wir bringen etwas.“ Heute sind das neben den Geschenken wie so oft: Zeit zum Zuhören, praktische Hilfen, ein Shuttle in die Stadt. Doch nun geht es erstmal in die „Messe“, das Wohn- und Esszimmer der „Aquadonna“. Dort werden die Geschenktüten übergeben.
Auf dem knapp 200 Meter langen nagelneuen Massengutfrachter, der seit vier Monaten unter der Flagge von Panama unterwegs ist, arbeiten 20 Seeleute, alle von den Philippinen. Aus dem norwegischen Narvik nördlich des Polarkreises sind sie mit ihrem Schiff nach Bremen gekommen, um Erz für das Stahlwerk von Arcelor Mittal zu liefern. Jetzt strömen sie in die Messe, zücken ihre Handys, wollen unbedingt Selfies mit den Bordbesucherinnen der Seemannsmission machen.
Unter ihnen ist auch Kapitän Joel Babatid, der seit Indienststellung des Frachters an Bord ist. Sein Kontrakt geht noch fast ein halbes Jahr. Für viele Seeleute ist das die Normalität, sagt der Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission, Matthias Ristau: „Sie arbeiten oft monatelang isoliert auf ihren Schiffen, zu Weihnachten können viele nicht bei ihren Familien sein.“
Und das, obwohl sie in der weltweiten Logistik eine zentrale Aufgabe übernehmen, auch jetzt vor dem Fest. Ristau erinnert daran, dass wohl die meisten Waren und damit auch ein Großteil der Weihnachtsgeschenke per Schiff über das Meer nach Deutschland kommen, in Containern, beispielsweise aus China. So gesehen seien die Seeleute, ganz klar, „die Gehilfen des Weihnachtsmannes“.
Sehnsucht der Seeleute an Weihnachten besonders groß
Unterstützt werden sie in ihrem Job im In- und Ausland von 33 Stationen der Deutschen Seemannsmission, Bremen ist eine davon. „Im Prinzip kann man sagen, dass fast alle ihre Frauen, ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Familie, ihre Freunde vermissen“, hat Vanessa Kamrath als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Seemannsmission bei ihren Bordbesuchen erfahren. „Viele“, ergänzt sie, „können auch nachts nicht durchschlafen, sind überarbeitet, gestresst, einfach übermüdet.“
Weihnachten ist die Sehnsucht besonders groß. Dann tut ein Gespräch gut, das sich spontan zwischen Babatid – dunkle Mütze, Lachfältchen in den Augenwinkeln – und Seemannsdiakon Deppe entwickelt. Er sei schon seit 35 Jahren im Job, erzählt der philippinische Kapitän und Vater von fünf erwachsenen Kindern. Jetzt ist er 60, ein Jahr will er noch zur See fahren. Dann ist Schluss. „Ich bin maximal zwei Monate im Jahr zu Hause“, beschreibt er seine Situation. An Bord sei er der Chef, „zu Hause ist es meine Frau“, berichtet er lächelnd.
Bremer Seemannsmission hat lange Geschichte
Die Station in Bremen wurde vor 170 Jahren gegründet und ist damit Deutschlands älteste Seemannsmission. Ihren Ursprung hat die Einrichtung im Jahre 1854, als der Bremer Reeder und Kaufmann Friedrich Martin Vietor ein Haus für Seeleute eröffnete. In der Tradition von damals – den Seeleuten zur Seite zu stehen – engagiert sie sich noch heute. „Wir haben mehr als 20 ehrenamtlich Mitarbeitende und besuchen fast alle Schiffe, die Bremen anlaufen“, sagt Magnus Deppe.
Das sind jährlich bis zu 2.000 Frachter mit Kontakten zu rund 30.000 Seeleuten. „Es ist uns wichtig, dass die Seeleute bei uns ein wenig abschalten können“, bekräftigt der Diakon, der mit seinem Team auch Crew-Mitglieder zum Einkaufen fährt, wenn nötig im Krankenhaus besucht und zur Freizeit im Seemannsclub „Lighthouse“ empfängt.
„Wir wollen ein Stück Heimat in der Fremde bieten und auf das Schiff bringen“, betont Deppe. Das hat auch dieses Mal wieder geklappt. Am Ende ihres Bordbesuches wird das Team der Seemannsmission herzlich verabschiedet. Männer aus der Crew rufen ihnen hinterher: „Merry Christmas.“