Religion spielt im Osten oft noch weniger eine Rolle als im Westen. In einem neuen Buch sprechen Menschen unterschiedlicher Bekenntnise darüber. Gestreift wird auch eine Frage, die seit dem 7. Oktober im Raum steht.
Wie ist es, in Ostdeutschland religiös zu sein? Igor Matviyets, Azim Semizoglu und Mara Klein erzählen davon in dem neuen Buch der interreligiösen Denkfabrik “Schalom Aleikum”. Es bezieht zusätzlich die christliche Perspektive ein: Klein ist eine teilnehmende Person des katholischen Reformprojekts Synodaler Weg. Außen vor bleibt auch nicht der Terror der Hamas in Israel am 7. Oktober, der nachfolgende Krieg und seine Auswirkungen auf Menschen in Deutschland.
In dem Buch wird vor diesem Hintergrund die Frage nach Zukunft und Chance des jüdisch-muslimischen Dialogs gestreift – “angesichts der hiesigen Resonanz auf den mörderischen islamistischen Antisemitismus der Hamas”, heißt es an einer Stelle. Denn die “hiesige Resonanz” zeigt sich unter anderem in einer stark steigenden Zahl antisemitisch motivierter Vorfälle und Straftaten.
Gibt es also eine Chance? “Wir können diese keineswegs triviale Frage nicht schlicht feierlich bejahen und zur Tagesordnung übergehen. Wir wollen diese Frage auch nicht eindeutig verneinen und die Türen des Gesprächs unwiderruflich schließen”, schreiben Dmitrij Belki, Leiter von “Schalom Aleikum”, und Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, in ihrem Textbeitrag.
Igor Matviyets, Azim Semizoglu und Mara Klein jedenfalls sprechen miteinander – über das, was auch der Titel des Buches ist: “Glaubensspuren. Jüdische, muslimische und christliche Lebensrealitäten in Ostdeutschland”. Zum Beispiel über Sicherheit und Rechtsextremismus nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019, über Judenfeindschaft bei Martin Luther und Angst vor Rassismus im Osten.
Sie sprechen zugleich über das Zugehörigkeits- und Heimatgefühl in einer Region, einer Stadt und einer religiösen Gemeinschaft sowie über manch Unverständnis in Westdeutschland in Bezug auf Ostdeutschland. Themen sind außerdem Glaube, religiöse Praxis und Gestaltungsmöglichkeiten in einem Landstrich, in dem Religion oft kaum eine Rolle spielt – und die Infrastruktur teilweise entsprechend dürftig ist, was zum Beispiel Geschäfte mit koscherem Angebot angeht. Ein eigener Abschnitt ist der Diasporasituation von Christinnen und Christen gewidmet.
Ergänzt wird das Buch um wissenschaftliche Betrachtungen zum Beispiel zu Religion, Identifikation und (jüdischer) Zuwanderung. Hinzu kommen Daten und Fakten, etwa zu Struktur und demografischer Situation von jüdischen, muslimischen und christlichen Gemeinden.
Vor einem Jahr erschien der Band “Flucht und Engagement. Jüdische und muslimische Perspektiven”. Er war als Auftakt zur wissenschaftlichen Arbeit von “Schalom Aleikum” und zur Fortsetzung des interreligiösen und gesellschaftlichen Dialogs gedacht.
Die Denkfabrik des Zentralrats der Juden ging im September 2022 aus dem Projekt “Schalom Aleikum. Jüdisch-muslimischer Dialog” hervor. Ziel war es seinerzeit, Jüdinnen und Juden mit Musliminnen und Muslime jenseits der Funktionärsebene ins Gespräch zu bringen – und Antisemitismus präventiv entgegenzuwirken. So gab es in der Vergangenheit beispielsweise Veranstaltungen mit Ärzten, Sportlern und Unternehmern.