„Mission heißt zeigen, was man liebt“, sagt der Theologe Fulbert Steffensky. In frommen kirchlichen Kreisen wird dieser Satz gern zitiert. Doch angesichts der aktuellen Debatte über Rassismus und Kolonialismus fühlen sich viele Gläubige in der Defensive. Christliche Mission ist heute ein verbrannter Begriff, eng verknüpft mit Gewalt und Ausbeutung im 19. Jahrhundert.
„Mission – geht’s noch?“, fragt die Wuppertaler Theologin Claudia Währisch-Oblau in einem kürzlich erschienenen Buch zum Thema. Ihre Antwort lautet: ja, aber anders. Gemeinsam mit 16 Co-Autoren aus aller Welt zeigt die Pfarrerin des internationalen Kirchenbunds Vereinte Evangelische Mission (VEM) „postkoloniale Perspektiven“ auf, in denen die Kirchen des Nordens mit ihrer Theologie und ihrem Geld nicht länger dominant sind.
Die Kirchen des globalen Nordens müssten „endlich aufhören damit, das weltweite Christentum nach ihrem Bild formen zu wollen“, fordert Währisch-Oblau. Dazu müsse der biblische Missionsbefehl „Gehet hin in alle Welt“ aus dem Matthäusevangelium neu interpretiert werden. Es gelte auch zu akzeptieren, dass Jesus erst durch die Missionare blond, blauäugig und weiß geworden sei: „Es ist einfach ein Fakt. Die ersten Christen waren jüdische Palästinenser und Menschen aus dem östlichen Mittelmeerraum.“
Dann habe sich das Evangelium in der Türkei und erst danach in Europa verbreitet, erläutert die promovierte Theologin. Kirchenvater Augustin etwa, später Bischof in Rom, stammte aus dem heutigen Algerien. So gesehen ist das Christentum in Afrika eine Art Re-Import. Es hat sich weltweit längst emanzipiert und je eigene Ausdrucksformen gefunden – etwa in charismatisch oder pfingstlerisch geprägten Kirchen, in denen Themen wie Krankenheilung, Dämonenaustreibung oder die Predigt eines Wohlstandsevangeliums wichtig sind – die Auffassung, dass sich Gottes Gunst am persönlichen Wohlstand zeigt.
Wie Mission jenseits blonder Jesusbilder und ohne westliche Strategiekonzepte funktioniert, erzählen in dem Band „Mission – geht’s noch?“ Autorinnen und Autoren unter anderem aus Ruanda, Tansania, Sri Lanka, Indonesien und Hongkong. Etwa, dass Menschen durch Heilungen oder im „Befreiungsdienst“ bei Problemen mit der Familie, bei Unfruchtbarkeit, Verkehrsunfällen oder Ängsten zum Glauben kommen.
„Wir reden in unserer säkularisierten Welt eher von Schicksalsschlägen“, sagt Währisch-Oblau. „Aber im Süden geht es um die Frage: Wer beschützt mich?“ Sie selbst habe als protestantisch und weiß sozialisierte Deutsche erst während einer zwölfjährigen Tätigkeit in China und Hongkong begonnen, Heilungsgeschichten wahrzunehmen und von Christen vor Ort zu lernen. „Postkoloniale Bibellektüre“ nennt sie das heute.
Der in Oxford lebende Missionstheologe Harvey Kwiyani aus Malawi kritisiert, dass die meisten Missionskonzepte bis heute von westlichem Denken geprägt und vielfach rassistisch seien. Er entwirft die Vision einer „polyzentrischen Mission“ mit Zentren auf allen Kontinenten, bei der es nicht mehr „Aufgabe des weißen Mannes ist, die Welt zu zivilisieren und zu christianisieren“. Dazu gehöre auch, zu akzeptieren, wenn People of Color aus Asien, Afrika und Lateinamerika im Westen missionieren, meint Kwiyani und fordert damit eine Abkehr von Mission als Einbahnstraße.
Auch hierzulande lässt sich das Christentum als weltweite Lerngemeinschaft erleben: Bundesweit gibt es christliche Migrationsgemeinden, die Deutschland mit seinen leeren Kirchen als Missionsfeld verstehen. Der aus Ghana stammende Pfarrer Richard Aidoo von der erfolgreichen internationalen New Life Church in Düsseldorf etwa vergleicht das Miteinander mit einem Klavier: „Es hat schwarze und weiße Tasten, und erst wenn sie zusammenkommen, hat man eine schöne Melodie.“
Insgesamt beurteilt Währisch-Oblau die Chance auf Veränderung aber eher skeptisch. „Die deutsche Kirche als Empfängerin von Mission – das ist ein völlig fremder Gedanke, ich sehe nur wenig Lernbereitschaft“, lautet das Fazit der 65-Jährigen, die über das Verhältnis von deutsch- und fremdsprachigen Gemeinden promoviert hat. Das habe mit einer massiven Abwehr gegen „zu viel Emotionalität“, aber auch mit Rassismus zu tun. In traditioneller Sicht gehe Mission noch immer von Nord nach Süd.