Nicht einmal vor dem Mainzer Mikrotron, dem Teilchenbeschleuniger des Instituts für Kernphysik, machen die grüngefiederten Vögel Halt. Mehrere Löcher klaffen in der Außenfassade – Hinweise auf Bruthöhlen von Halsbandsittichen, auch Kleine Alexandersittiche genannt. „Die Hausmeister führen einen ziemlich erfolglosen Kampf“, sagt der Universitätsmitarbeiter Detlev Franz. Seit etlichen Jahren schon befasst sich der begeisterte Freizeit-Ornithologe mit den frei lebenden Papageien, die sich in vielen Kommunen insbesondere entlang des Rheins ausgebreitet haben.
Seit einiger Zeit sind die hellen Schreie der exotischen Vögel auch auf dem Campus der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität immer häufiger zu hören. Die Sittiche schätzen insbesondere den hiesigen Botanischen Garten mit seiner Vielzahl hoher Bäume und das große Angebot an Nisthöhlen und exotischen Futterpflanzen. Für den Sittich-Fachmann Franz ist das ein großes Glück, denn er geht zurzeit der Frage nach, wovon sich die Vögel in Deutschland ernähren – „und hier stehen ja an jeder Pflanze Schilder mit Beschriftung“.
Ursprünglicher Lebensraum des Halsbandsittichs (Psittacula krameri) sind die Savannen Afrikas zwischen dem Senegal und Somalia sowie die Länder des indischen Subkontinents. Als Ziervögel nach Europa importiert, gelang immer wieder einzelnen Exemplaren die Flucht aus der Gefangenschaft. Seit Ende der 1960er Jahre erstmals freie Halsbandsittiche in Köln brüteten, haben sich die Tiere in den größeren Städten entlang des Rheins und in der Rhein-Neckar-Region ausgebreitet und teils massiv vermehrt.
Allein die Population im Raum Mainz schätzt Franz auf inzwischen rund 4.000 Tiere. Aktuell gebe es zunehmend Sichtungen aus Orten entlang des Mains. „Bis ich in Rente bin, werden sie auch Frankfurt besiedelt haben“, ist sich der Ornithologe sicher. Einzelne Halsbandsittich-Gruppen gibt es dort schon.
Auf dem gegenüberliegenden Rheinufer, im Wiesbadener Schlosspark Biebrich, wo lange ihr Hauptareal in der Rhein-Main-Region lag, hat die Zahl hingegen eher abgenommen, denn dort breiten sich aktuell ebenfalls verwilderte Große Alexandersittiche (Psittacula eupatria) aus.
Die Sittiche sind Kulturfolger, die sich insbesondere in größeren Städten wohlfühlen. Wo größere Parkanlagen oder auch Friedhöfe mit immergrünen Gewächsen und anderen Futterpflanzen zur Verfügung stehen, können die kleinen Papageien sogar frostige Winter überstehen. Wichtig für sie sind auch Schlafbäume, auf denen sie in riesigen Schwärmen die Nacht verbringen, bevor sie sich am nächsten Morgen wieder über die Stadt verteilen. In naturnahem Umfeld mitteleuropäischer Wälder oder Wiesenlandschaften haben sie hingegen kaum Überlebenschancen.
Schlechte Karten hierzulande haben übrigens auch Wellensittiche, wenn sie aus Käfigen entkommen. Die Wildform der Tiere stammt aus Australien. „Wellensittiche sind an Wüsten angepasst“, erklärt der Experte Franz. Hier gebe es kaum Futterpflanzen für sie, und im Winter werde es für sie zu kalt. Zudem sind sie nach Franz’ Worten eine „erstklassige Beute für Baumfalken und Wanderfalken“. Daher gebe es in Deutschland zwar wildlebende Halsbandsittiche, aber keine Wellensittiche, obwohl letztere deutlich häufiger gehalten werden.
Im Gegensatz zu anderen neu aufgetauchten Tierarten sind die Halsbandsittiche aus ökologischer Sicht eher unproblematisch: Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass sie heimische Vögel verdrängen, heißt es in einem Faktencheck der Naturschutz-Organisation Nabu. Vielmehr sei es so, dass die Sittiche mit ihrem kräftigen Schnabel vorhandene Baumhöhlen erweitern und dadurch oft erst für heimische Vogelarten nutzbar machten: „Hohltauben können zum Beispiel von den Aktivitäten der Sittiche auch profitieren.“
So manchem Immobilienbesitzer treibt der Lebenswandel der gefiederten Neubürger jedoch sehr wohl die Sorgenfalten ins Gesicht. Die Stadt Mainz etwa berichtet von regelmäßigen Anfragen, wie mit Fassadenlöchern artenschutzkonform umgegangen werden solle. „Der Halsbandsittich, aber auch Spechtarten vermuten Insekten unterhalb der hohl klingenden, wärmegedämmten Fassaden, hacken diese auf und bauen nicht selten darin ihre Bruthöhlen“, informiert die Stadtverwaltung. „Seitens der Bauwirtschaft sind bis heute keine nachhaltigen Lösungen erarbeitet worden, die Tiere von den Fassaden fernzuhalten.“ Ein möglichst glatter Fassadenputz und die Vermeidung von hohlklingenden Wärmedämmungen könnten das Problem zumindest mindern.