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Nein sagen darf nicht bestraft werden!

Menschen fliehen vor dem ­Kriegseinsatz mit der Waffe. Auch aus der Ukraine, Belarus und Russland. Doch gilt das als ­Asylgrund? Warum Kriegsdienstverweigerer und Deserteure unseren Schutz und ein ­Bleiberecht brauchen.

Von Wolfgang M. Burggraf

Kriegsdienstverweigerung ist ein Grund- und Menschenrecht. Dies hat 2011 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nachdrücklich festgestellt. Im Grundgesetz ist dies bereits seit 1949 festgeschrieben. Dennoch sind Kriegsdienst­verweigerer in vielen europäischen Ländern immer noch einer Strafverfolgung, Verhaftungen, Einschüchterungen und Diskriminierungen, ja sogar Morddrohungen ausgesetzt. Der aktuelle Jahres­bericht 2021 des Europäischen ­Büros für Kriegsdienstverweigerung (EBCO), der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, listet zahl­reiche Fälle aus vielen europäischen Ländern auf, die zeigen, dass Europa im vergangenen Jahr für Menschen, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern, kein sicherer Ort war.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat dieses Thema eine neue Aktualität erlangt. Das Netzwerk Connection, das zahlreiche Kriegsdienstverweigerer und Deserteure überall auf der Welt betreut und ­begleitet, ­berichtet, dass täglich 400 bis 600 Männer die Grenze von Belarus nach Litauen überqueren, um einer Einberufung zum Militär zu ent­gehen. Der ukrainische Grenzschutz hat wiederholt gemeldet, dass an der Grenze sogenannte Mobilisierungsverweigerer fest­genommen und den militärischen Behörden überstellt werden. Wir wissen, dass russische und belarussische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure verfolgt und bestraft werden. 

Hier muss klar sein: Wer aus ­Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe ablehnt und dem deshalb Verfolgung droht, der braucht unsere Hilfe und Unterstützung. Nein sagen darf nicht bestraft werden! Konkret heißt dies, dass Kriegsdienstverweigerern und Deser­teuren aus Russland, aus Belarus und der Ukraine in Deutschland und in der EU eine Perspektive für eine dauerhafte Aufnahme gegeben und ihnen Schutz und Asyl gewährt werden muss. Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss in allen Ländern, auch in den­jenigen, die sich im Krieg befinden, geschützt werden. Und jeder Deserteur und jeder Kriegsdienstverweigerer hilft mit, den Irrsinn jedweder Kriegsführung vor Augen zu stellen.

Der russische Überfall auf die Ukraine ist völkerrechtswidrig. Das bedeutet, dass Soldatinnen und Soldaten aus Russland und aus Belarus, die sich an diesem Krieg beteiligen, Teil eines Völkerrechtsbruchs sind. Diesen Personen, denen wegen ihres Handelns eine Strafverfolgung droht, muss ein flüchtlingsrecht­licher Schutz gewährt werden. Doch auch wenn der ukrainische Widerstand völkerrechtlich legitim ist, so muss auch hier Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit gegeben werden, den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Für alle gilt das Urteil des ­Europäischen Gerichtshofs für ­Menschenrechte von 2011. Und der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im November 2020 geurteilt, dass junge Männer, die sich durch Flucht dem syrischen Militärdienst entzogen haben, Flüchtlingsschutz erhalten müssen. 

Ein Bündnis von Friedens- und Flüchtlingsorganisationen hat darum, unterstützt von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung (KDV) und Frieden (EAK), in einer Petition an den Deutschen Bundestag nachdrücklich das Recht auf Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine gefordert. Denn bisher wird in Deutschland eine Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren nicht ohne weiteres als Asylgrund anerkannt. Auch in vielen anderen europäischen Ländern sind Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus diesen drei Ländern nicht willkommen. Dies muss sich ändern. ­

Wolfgang M. Burggraf ist Geschäftsführer der Evangelischen ­Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerer (KDV) und Frieden (EAK) Bonn.