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Multisensorische Schau “Dali: Spellbound” im Münchner Gasteig

Münchens Kulturtempel Gasteig ist wegen der geplanten Großsanierung eigentlich geschlossen. Übergangsweise feiert in der Philharmonie aber bis zum 21. April eine spektakuläre, multimediale Dali-Schau ihre Weltpremiere.

 Augen, Augen, Augen, wohin man auch schaut, große, kleine, unverwandt starrende und sich bewegende. Sie erscheinen und verschwinden wieder in einem Spiegelkabinett, fixieren einen auf Skizzen und Lithografien. Sie wachen als riesige Skulptur im Foyer vor der Münchner Philharmonie im Gasteig oder füllen die kompletten 55 Quadratmeter der Bühnenwand im Konzertsaal. Letzteres ist das Originalgemälde, das Salvador Dali für den Hitchcock-Film “Spellbound” (Ich kämpfe um dich) von 1954 geschaffen hat, mit Ingrid Bergman und Gregory Peck in den Hauptrollen.

Es steht im Zentrum der berühmten Traumsequenz in dem Thriller – eine der ersten Hollywood-Produktionen, die sich mit Sigmund Freuds Psychoanalyse beschäftigt haben. Der Traum im Film ist für die Entschlüsselung der Handlung von entscheidender Bedeutung: Jedes seiner Elemente hilft der an Amnesie leidenden Hauptperson, seine Erinnerungen zu finden. Gedächtnisverlust, Kindheitstrauma und Selbstwahrnehmung sind die Themen, die Dali in seinen surrealistischen Szenen zum Leben erweckt hat. Für ihn ist das Auge das zentrale Instrument, um den Betrachtern “unsichtbare Dinge” zu zeigen.

Der spanische Maler wurde von der Psychoanalyse stark beeinflusst. Ihre Theorien über das Unbewusste sind in seine Kunst eingeflossen. Freud entwickelte sich für ihn zu einer Art geistigem Vater, den er 1938 sogar persönlich getroffen hat. Auch Hitchcock begeisterte sich für dessen Thesen. Er verstand das Betrachten eines Films wie einen psychoanalytischen Vorgang: Die Zuschauer leiden und freuen sich an und mit den erzählten Geschichten – und finden sich am Ende selbst in den Erfahrungen der Figuren wieder.

Hitchcock bat Dali um Unterstützung für seinen Film “Spellbound”: Er hielt ihn für den am besten geeigneten Künstler, um traumhaftes Erleben bildhaft darzustellen. Laut Freud ist der Traum der “Königsweg zur Entdeckung des Unbewussten”. Während des Schlafs verliert das Gewissen seinen Einfluss auf die menschlichen Gedanken und befreit das Unbewusste. Dieses zeigt sich in Bildern und Projektionen von Wünschen, Trieben, Unbehagen und Ängsten – so wie in den dünnbeinigen Elefanten, Krücken, Eiern, Ameisen, Schubladen, Giraffen und eben Augen in Dalis Kunstwerken.

All diese Motive – wie auch die zerfließenden Uhren und Nashörner auf Insektenbeinen – finden sich in Dalis Bronzefiguren, Gemälden, Illustrationen und Zeichnungen. Sie sind unter anderem im Zuge der Entwicklung der Traumsequenz entstanden und werden teilweise im Gasteig gezeigt.

Außergewöhnlich ist vor allem die Bronzeskulptur “Verdrehter Christus” von 1976. Darin thematisiert Dali seine Beziehung zum christlichen Glauben. Seine Mutter war eine glühende Katholikin, sein Vater bekennender Atheist. Er war zunächst überzeugt, “dass es Gott nicht gibt”. Aber die tiefe Religiosität seiner Mutter führte ihn 1948 zurück zum katholischen Glauben und zur Schaffung dieser Bronzeskulptur.

Optisch kulminiert die Schau in der elf mal fünf Meter großen Leinwand mit den vielen Augen. Mehr passiert hier nicht – außer dass sich manche der Augäpfel auf hängenden Stoffbahnen bewegen. Dazu ertönt im Saal die beeindruckende Filmmusik von Miklos Rozsa. Aufregend ist dagegen die Erfahrung des “Metaversums” am Ende: ein Virtual-Reality-Parcours, durch den man sich mit einer VR-Brille tastet. Der Weg führt auf einem gläsernen Steg durch einen Wolkenraum mit Spiegelsplittern, auf denen Schnipsel von Hitchcocks Film zu sehen sind.

Dann landet man in Freuds Behandlungszimmer, bevor sich Portale in unendliche Bilderwelten öffnen: ein Ozean mit fliegenden Walen, eine Art düstere Burg mit überall lauernden Augen, eine sonnendurchglühte Wüste mit schmelzenden Uhren, eine öde Steppe mit schwebenden Fensterrahmen. Natürlich ist der Raum künstlich, aber beim Durchgehen wirkt er so real, dass er körperliche Reaktionen auf die virtuellen Szenen und Schauplätze hervorruft. Dieses irre Erlebnis entspricht so sehr Dalis surrealen Traumwelten, dass er sicher seine Freude daran gehabt hätte.