Seit 30 Jahren treffen sich Christen und Muslime jährlich an Pfingsten, um von- und miteinander zu lernen. Dabei gilt folgendes Prinzip, das Karimah Stauch, Vorsitzende der Deutschen Muslim-Liga Bonn, aus langjähriger Praxis zusammenfasst: „Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, dass Menschen für sich selber sprechen.“ Es soll dabei nicht über die Religionen geredet werden. Es soll auch nicht doziert werden, was das Christentum oder der Islam sind und bedeuten. Referentinnen und Referenten reden von ihrem Glauben und wie sie diesen leben. Auch die Teilnehmenden vertreten ihre jeweiligen Positionen, ohne sich hinter allgemeinen Sätzen über „den Islam“ oder „das Christentum“ verstecken zu können. Menschen christlichen und islamischen Glaubens begegnen sich auf Augenhöhe.
Diesem Anliegen ist sich die traditionell am Pfingstfest veranstaltete Christlich-Islamische Tagung treu geblieben. Vorbereitet wird sie seit ihrem Entstehen von einem interreligiösen Team. Eingeladen werden Referenten und Workshop-Leiter aus beiden Religionen. Beschäftigung mit religiösen und sozialen Themen geschieht jedoch nicht nur in Form von Vorträgen, sondern ganzheitlich: mit Musik, Tanzen, Malen und anderen kreativen Zugängen.
Zur interreligiösen Bereicherung gehört die gegenseitige Einladung zu den Gottesdiensten und Gebeten: Jede und jeder darf an den religiösen Feiern der anderen Religion teilnehmen, wie er oder sie es selbst vertreten kann – keiner wird zu etwas gezwungen, was seiner religiösen Überzeugung widersprechen könnte. Außerdem: Auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Konfessionen sowie Agnostiker und Atheisten sind seit jeher willkommen.
Hervorgegangen ist das Teffen aus einer evangelisch-katholischen Familientagung. Pfarrer Horst Eisele, einer der Verantwortlichen damals, erkannte: „Wir können nicht mehr unter uns bleiben.“ Deshalb lud er Musliminnen und Muslime ein, das bisherige ökumenische Konzept zu erweitern. Darunter war auch der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Muslim-Liga Bonn, der Sufi-Schech Bashir Ahmad Dultz (ebenfalls Bonn), der zusammen mit seiner Frau, der Tanz- und Meditations-Lehrerin Chadigah Kissel, bis heute die Tagung mitleitet.
In den ersten Jahren traf man sich im Hedwig-Dransfeld-Haus, einer katholischen Tagungsstätte in Bendorf bei Koblenz. Nach deren Schließung im Jahr 2003 wurde das Bendorfer Forum für ökumenische Begegnung und interreligiösen Dialog gegründet, das bis heute die Arbeit des Hedwig-Dransfeld-Hauses getreu dem Motto „Dialogisch – ökumenisch – international – offen“ weiterführt.
Westfälisch wurde die Tagung dann Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, als die Evangelische Akademie Iserlohn in deren Trägerkreis eintrat. In den darauffolgenden Jahren kamen weitere Institutionen dazu: Die Evangelische Akademie Villigst/Institut für Kirche und Gesellschaft (als Nachfolgerin der Iserlohner Akademie), das Gemeinsame Pastoralkolleg im Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie seit diesem Jahr das Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der westfälischen Kirche. Seit etwa zehn Jahren ist die regelmäßig vom Bundesministerium des Inneren geförderte Christlich-Islamische Tagung an der Evangelischen Jugendbildungsstätte Nordwalde bei Münster beheimatet.
Im Verlauf der 30-jährigen Geschichte galt es, manche Hürden zu meistern. So auch die, dass in den beiden vergangenen Jahren die Tagung ausnahmsweise nicht an Pfingsten stattfinden konnte, weil sie in die Zeit des islamischen Fastenmonats Ramadan gefallen wäre. Denn das hätte die Veranstalter vor vielfältige Probleme gestellt: Sollen auch christliche Teilnehmendetagsüber fasten? Kann das Tagungspersonal auf die besonderen Zeiten des Fastenbrechens am späten Abend gegen 21.30 Uhr eingehen? Werden Musliminnen und Muslime überhaupt im Fastenmonat an einer Tagung teilnehmen, denn traditionell besuchen sich in dieser Zeit Verwandte und Freunde gegenseitig? Darum wurde entschieden, die Tagung zu verschieben – denn der Geist von Pfingsten ist nicht auf die eigentlichen Feiertage beschränkt.
In diesem Jahr zum Tagungsthema „Das Ende des Krieges ist noch nicht der Anfang des Friedens“ begaben sich die Teilnehmenden gemeinsam auf die Suche nach den Friedenspotenzialen der Religionen, die sowohl im Christentum als auch im Islam erkennbar sind. Pfarrerin Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende des Vereins Church and Peace, erinnerte in diesem Sinne an Dietrich Bonhoeffer, der 1934 auf der Weltjugendkonferenz im dänischen Fanö feststellte: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg zur Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden.“
Auf muslimischer Seite wies Muhammad Sameer Murtaza, Mitarbeiter bei der Stiftung Weltethos, unter anderem auf den indischen Freiheitsaktivisten Khan Abdul Ghaffar Khan (1890- 988) hin, der den gewaltfreien Ansatz Mohandas Karamchand Gandhis (1869-1948) mit den Lehren des Islam verband. Ohnehin entstehen Konflikte nicht primär aus religiösen Gründen, wie es Caroline Kruckow, Friedensreferentin bei Brot für die Welt, erklärt, sondern werden erst im Verlauf ihrer Entwicklung um religiöse Komponenten erweitert.
Ralf Lange-Sonntag ist Pfarrer und Islam-Beauftragter der westfälischen Kirche und im landeskirchlichenAmt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) zuständig für den interreligiösen Dialog.