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„Messiasleute“, keine „Christen“

Diverse UK, zuletzt UK 36/2016, Juden und frühe Christen (Seite 14, Leserbrief: „Christen als neuer Name der Anhänger Jesu“)
Der Leserbriefautor verweist darauf, dass in Apostelgeschichte (Apg.) 11,26 zum ersten Mal in der Bibel der Begriff „Christen“ für die Nachfolger von Jesus auftaucht. In der Übersetzung nach Luther und in den meisten anderen deutschen Übersetzungen ist das so.
Im griechischen Text des Neuen Testaments steht das Wort: „christianoi“. Was hat das damals bedeutet? Wir versetzen uns zurück in diese Zeit: 1. Nach der Steinigung des Stephanus müssen die griechisch sprechenden Jesusjuden der Jesussynagoge in Jerusalem fliehen (Apg. 8,1). Einige fliehen nach Antiochia. Dort gehen sie in die örtlichen Synagogen. 2. Bald gibt es dort Probleme (wie in Rom): Die Mehrheit der Juden in den Synagogen Antiochias wollen nichts von einem gekreuzigten Messias Jesus hören. Die Jesusjuden werden aus den Synagogen herausgeworfen. Sie müssen sich privat treffen beziehungsweise gründen eigene (Jesus-)Synagogen. Da zu den jüdischen Synagogen immer auch interessierte gottesfürchtige Heiden dazugehörten, gingen bestimmt auch etliche von diesen interessierten Heiden aus den Synagogen heraus in die neuen Jesus-Synagogen hinein. Das gab wiederum Streit mit den Synagogenleitungen. 3. Einige der Jesusjuden der neuen Jesus-Synagogen fangen nun zusätzlich an, das Evangelium vom Messias Jesus auch an die normalen griechischen Einwohner von Antiochia weiterzusagen. Von denen kommen eine ganze Menge zum Glauben. 4. In der Stadt Antiochia werden nun die Juden und ihre Streitigkeiten zum Stadtgespräch: „Was ist da los bei den Juden? Warum streiten die sich dauernd?“ – „Ich habe gehört, dass es da jetzt zwei Fraktionen gibt? Was ist das für eine neue Fraktion bei den Juden?“
5. Allmählich spricht es sich herum: „Die Neuen, das sind die Messiasjuden. Die haben es mit einem Messias Jesus oder so ähnlich.“ – „Dann sind die einen Juden also: normale Juden? Die anderen, das sind: Messiasleute?“ –„So kann man das wohl sagen.“
6. Da wir uns in Antiochia befinden, einer Stadt im griechischen Kultur- und Sprachkreis, redet man dort Griechisch. Die neue Fraktion bei den Juden wird deshalb nicht als „Messiasleute“ betitelt (das wäre Hebräisch), sondern als christianoi (dem Christus/= Messias zugehörig). Folglich wäre die deutsche Übersetzung für christianoi: „Messiasleute“.
Es war eine Bezeichnung, um die beiden Gruppen von Juden zu unterscheiden. Die Übersetzung mit „Christen“ verdunkelt die Situation. Die Übersetzung „Christen“ sagt etwas ganz anderes aus, als es damals gewesen ist. Theologisch: Wir projizieren uns selbst ins Damals zurück und verdrehen die Aussage des Textes. Es war aber die Benennung einer Unterscheidung zwischen Juden und keine Benennung einer neuen nicht-jüdischen Religion. Eine Übersetzung mit „Christen“ ersetzt die Juden durch uns (Heiden-) Christen.
Reiner Fröhlich, Kierspe