Thomas Mertens, einer der bekanntesten Corona-Experten in Deutschland, ist nicht länger Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko). Vor wenigen Tagen endete die aktuelle Arbeitsperiode des unabhängigen Beratungsgremiums; neue Mitglieder sind noch nicht benannt. Der in Neu-Ulm lebende Virologe, der seit 2017 an der Spitze der Stiko stand und ihr seit 2004 angehörte, hatte schon frühzeitig angekündigt, für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung zu stehen.
Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) räumte Mertens ein, dass er während der Pandemie mehrfach darüber nachgedacht habe, sein Amt niederzulegen – nach dem Motto “wie dumm muss man eigentlich sein, um so viel Ärger unbezahlt in Kauf zu nehmen”. Er habe Hunderte hässliche Mails erhalten und sei beim Einkaufen oder auf der Straße angepöbelt worden. “Ich war schon erschüttert, wie viel Unwissenheit, Dummheit und Bösartigkeit in dieser Zeit auf mich eingeprasselt sind.”
Dabei habe Deutschland die Pandemie trotz aller Unkenrufe recht erfolgreich gemeistert, sagte Mertens. Das habe auch an der vergleichsweise hohen Anzahl an Krankenhäusern und Intensivbetten gelegen. Als gesellschaftlich problematisch wertete der Mediziner insbesondere die Kontaktsperren für Kinder und Senioren. “Krankheitsverläufe bei Kindern waren meist unkompliziert. Sie haben viel stärker durch die Isolierungsmaßnahmen einschließlich der Schulschließungen gelitten.”
Das größte Problem war nach Mertens’ Ansicht die Kommunikation während der Pandemie. Viele Politiker habe er als nicht gerade hilfreich empfunden. “Da wurde nicht auf Basis von wissenschaftlichen Daten argumentiert. Da ging es darum, politischen Handlungswillen zu demonstrieren, das eigene Profil zu schärfen oder politischen Druck zu entwickeln.” Es seien teilweise schwer erträgliche Beschlüsse gefasst worden – “etwa, wenn anfangs schnelle Impfungen von Kindern gefordert wurden, aber gleichzeitig gesagt wurde, dass der Bund keine Haftung übernimmt”.
Mertens wies noch einmal Vorwürfe zurück, die Stiko habe zu langsam reagiert. “Wir haben versucht, auf der Grundlage aller wissenschaftlichen Daten zu entscheiden – und diese Daten mussten ja erstmal da sein. Alles andere wäre uns später auch sicher um die Ohren geflogen.”