Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Entscheidungen der Bundesregierung zu Ausreisemöglichkeiten für afghanische Ortskräfte im Zuge des Abzugs internationaler Truppen im Rückblick verteidigt. Im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages sprach Merkel am Donnerstag von Dilemmata und schwierigen Abwägungsentscheidungen.
So schilderte Merkel, dass sie die Forderung der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach einer Ausweitung des befugten Personenkreises bei Bundeswehr und Polizei unterstützt habe. Zurückhaltender sei sie zunächst gewesen bei Ortskräften aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Sie habe den Eindruck vermeiden wollen, dass Deutschland den Sieg der Taliban vorwegnehme und Afghanistan im Stich lasse. Hätte man zu vielen die Ausreise ermöglicht, hätte es als Signal verstanden werden können, Deutschland vertraue nicht mehr darauf, dass es eine gute Entwicklung geben könnte.
Die Bundesregierung debattierte im Frühsommer 2021 mit Blick auf den Abzug der Bundeswehr Ende Juni, inwieweit afghanischen Mitarbeitern deutscher Streitkräfte, von Polizei und anderen Organisationen die Ausreise nach Deutschland ermöglicht werden sollte. Diskutiert wurde dabei auch über beschleunigte Visa-Verfahren, was insbesondere im Bundesinnenministerium auf Vorbehalte stieß.
Merkel sagte im Ausschuss, das Innenministerium habe die Aufgabe gehabt, dafür zu sorgen, „dass wir uns nicht Kräfte ins Land holen, die für terroristische Anschläge verantwortlich sind“. Das habe sie nicht zur Seite wischen können. „Dieses Dilemma habe ich schon sehr deutlich gespürt“, sagte die ehemalige Kanzlerin.
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss soll die Umstände der militärischen Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 aufklären. Sie war nötig geworden, nachdem die radikalislamischen Taliban nach dem Abzug der internationalen Truppen überraschend schnell die Hauptstadt zurückerobert hatten.
Im Zentrum des Ausschusses steht auch die Frage, ob durch eine Fehleinschätzung der Sicherheitslage afghanische Mitarbeiter deutscher Organisationen gefährdet wurden und früher Vorbereitungen für deren Schutz oder Ausreise hätten getroffen werden müssen. Viele Ortskräfte von Bundeswehr, Polizei und Entwicklungsorganisationen mussten wegen des überstürzten Abzugs zurückbleiben.