Die Weltöffentlichkeit fragt sich, ob Syrien nach dem Machtwechsel demokratisiert oder weiter islamisiert wird. Laut aktuellen Eindrücken einer Menschenrechtsorganisation sieht es eher nach Letzterem aus.
Sechs Monate nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad beklagen Menschenrechtler eine Verfolgung ethnischer und religiöser Minderheiten. Die Gewalt gegen solche Gruppen eskaliere zusehends, erklärte Kamal Sido, Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker, am Freitag in Göttingen. Er hat Syrien nach eigenen Angaben kürzlich ohne Begleitung durch das Informationsministerium besucht.
“Während meiner Reise habe ich viele Anzeichen dafür gesehen, dass die neuen Machthaber die religiöse und ethnische Vielfalt in Syrien Schritt für Schritt vernichten und ein streng islamistisches Regime errichten wollen”, so der Experte. Mit militärischer Unterstützung der Türkei und viel Geld aus Katar und anderen Golfstaaten würden islamistische Gruppen legitimiert und salonfähig gemacht.
Große Teile des Krisenlandes stehen den Angaben zufolge inzwischen erkennbar unter türkischer Kontrolle. “In Afrin sieht man überall türkische Flaggen, nicht nur auf Verwaltungsgebäuden, sondern auch an Checkpoints”, berichtete Sido. Leidtragende seien beispielsweise die Kurden, deren Friedhöfe und Gräber in Afrin zerstört worden seien. Auch die religiöse Minderheit der Drusen werde – wie bereits die Alawiten – Ziel von Attacken der islamistischen Milizen.
Um die Schaffung einer islamistischen Zentralherrschaft zu verhindern, schlägt Sido ein föderales System für Syrien vor: “Die deutsche Politik und die Medien sollten diese Forderung unterstützen.”