Als er starb, säumten fast 50.000 Menschen den Weg des Trauerwagens durch Hamburg zum Friedhof von Ottensen. 126 Kutschen folgten im März 1803 dem Sarg des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803). „Ein Jahrhundert wurde zu Grabe getragen“, schrieb der Literaturhistoriker Ernst Beutler in den 1930er Jahren.
Klopstock hatte das 18. Jahrhundert mit seinen schwärmerischen Oden geprägt – mitten im Zeitalter der Aufklärung. Am 2. Juli jährt sich sein Geburtstag zum 300. Mal. Er kam 1724 in Quedlinburg zur Welt, im selben Jahr wie der Philosoph Immanuel Kant, und wuchs pietistisch geprägt auf.
Die von Klopstock geprägte neue „Empfindsamkeit“ war aus England herübergekommen und erfasste vor allem die Jugend. Der „Göttinger Hain“, ein Dichterkreis, der 1770 zusammenfand und einen Freundschaftskult pflegte, vergötterte Klopstock.
„Alles traf in Klopstock zusammen, um eine solche Epoche zu begründen“, schrieb der alte Johann Wolfgang von Goethe in seinen Lebenserinnerungen. Er meinte das Zeitalter des unabhängigen Dichtergenies. Dem jungen Goethe der „Sturm und Drang“-Phase hatte Klopstocks Name 1774 als Code-Wort im „Werther“ gedient. Hier erinnern sich der Titelheld und seine geliebte Charlotte an „Die Frühlingsfeyer“, eine Ode, in der Klopstock das neue Leben bejubelt.
Für die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts war Klopstock der berühmteste deutsche Dichter, sagt der Germanist Kai Kauffmann von der Universität Bielefeld, dessen Klopstock-Biografie Ende Mai erschienen ist.
Der Dichter hatte antike Versmaße wie den Hexameter bei Homer und Gedichtgattungen wie Ode und Hymnus bei Pindar und Horaz auf dem Internat Schulpforta/Naumburg kennengelernt. Unter dem Eindruck von John Miltons Epos „Paradise lost“ plante er schon damals ein kosmisches Epos über Passion, Auferstehung und Himmelfahrt Christi in deutschen Hexametern. Die ersten drei Gesänge erschienen unter dem Titel „Der Meßias – ein Heldengedicht“ im Jahr 1748, ein Jahr vor Goethes Geburt.
Erst 1773 kamen alle 20 Gesänge heraus. Das Epos machte Klopstock beim breiten Publikum berühmt. Sein Zeitgenosse Johann Gottfried Herder krittelte zwar: „Alles ist bei Klopstock in Theilen schön, nur im ganzen nicht der rechte epische Geist.“ Gotthold Ephraim Lessing, mit dem Klopstock in Hamburg schwimmen ging, nannte den „Messias“ hingegen „ein ewiges Gedicht“. „Goethe arbeitete sich später mit seinem ‘Faust’ an ihm ab“, ergänzt Experte Kauffmann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Hölderlin wäre ohne Klopstock undenkbar.
Seine ersten Oden hatte Klopstock 1747 als Theologie-Student in Leipzig verfasst. Er schloss das Studium nicht ab, doch eine tiefe Religiosität grundierte sein dichterisches Werk. Nach einem Intermezzo als Hauslehrer in Langensalza, Heimat seiner Mutter und seiner unglücklich geliebten Cousine Fanny, ging er 1750 nach Zürich zum damaligen „Literaturpapst“ Johann Jakob Bodmer. Die „Fanny“-Elegien und die Ode „Der Zürcher See“ berichten von dieser Zeit.
Ein Jahr später siedelte Klopstock auf Einladung des dänischen Königs Friedrich V. nach Kopenhagen über, wo ihm eine lebenslängliche Pension gewährt wurde. Auf dem Weg dorthin lernte er in Hamburg Meta Moller kennen, die er 1754 heiratete; sie starb 1758. Erst 1791 heiratet er wieder: Metas verwitwete Nichte Johanna Elisabeth von Winthem.
Für sie, die gut singen konnte, schrieb er 1770 das „Vaterlandslied“, das Carl Philipp Emanuel Bach vertonte: „Ich bin ein deutsches Mädchen!/Zorn blickt mein blaues Aug’ auf den,/Es haßt mein Herz/Den der das Vaterland verkennt!“ Auch Kauffmann gibt zu: „Die meisten Leser werden sich von diesem vaterländischen Lied peinlich berührt fühlen.“
Klopstock hat also schon vor den Befreiungskriegen gegen Napoleon der deutschtümelnden Spätromantik und dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts den Weg gebahnt. Wie ein trauriges Echo klingen da wenige Jahrzehnte später die Verse des emigrierten Juden Heinrich Heine (1797-1856): „Ich bin ein deutscher Dichter/Bekannt im ganzen Land;/Nennt man die besten Namen/So wird auch der meine genannt.“
Nach einem politischen Umsturz in Dänemark folgte Klopstock 1770 seinem Gönner, dem Grafen von Bernstorff, nach Hamburg. Dort schrieb er eine politische Utopie über „Die deutsche Gelehrtenrepublik“, die von einer gebildeten Elite regiert werden sollte. Die Fortsetzungen seines patriotischen Dramas „Hermanns Schlacht“ (1769), das den Cheruskerfürsten Arminius feiert, erschienen 1784 und 1787.
Wird Klopstock wegen seiner Deutschtümelei verdrängt? „Autoren des 18. Jahrhunderts vor den Klassikern haben es generell schwer“, erklärt Kauffmann. Klopstocks Nachlass wird heute in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg gehütet. Die Stadt Quedlinburg hat in seinem Geburtshaus am Schlossberg ein Museum eingerichtet und wird seinen 300. Geburtstag zwischen dem 30. Juni und 7. Juli mit einer Festwoche ehren. Und die Stiftung Schulpforta bei Naumburg eröffnet am 4. November eine Sonderausstellung.