BERLIN/BIELEFELD – Seit Jahren beschwört die Politik den mündigen Patienten, der souverän die Krankenkasse wechselt, ärztliche Zweitmeinungen einholt und noch als Pflegebedürftiger durch das Internet surft, um den besten Heimplatz zu finden. Eine repräsentative Studie der Universität Bielefeld zur so genannten Gesundheitskompetenz der Bevölkerung kommt allerdings zu anderen Ergebnissen: Mehr als die Hälfte, nämlich 54 Prozent der Bürger, haben Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen. Nur sieben Prozent kennen sich sehr gut aus, knapp 40 Prozent kommen einigermaßen mit der Informationsfülle über Gesundheitsthemen zurecht.
Etwas für die eigene Gesundheit tun
Damit steht Deutschland der Studie zufolge im Vergleich zu Nachbarländern wie den Niederlanden oder Dänemark nicht gut da und liegt auch unter dem europäischen Durchschnitt. Und das trotz massenhafter Informationen zu Gesundheitsthemen in sämtlichen Medien. Spezielle Internetforen für Patientinnen und Patienten eingeschlossen.
„Gesundheitskompetenz“ – da-runter verstehen Fachleute das Finden, Verstehen und Umsetzen von Gesundheitsinformationen. Also auch die Fähigkeit der Menschen, etwas für ihre Gesundheit zu tun oder Therapien einzuhalten.
Erwartungsgemäß haben es Menschen mit niedrigem Bildungsstand besonders schwer. Auch Migranten und Ältere haben Verständnis- und Umsetzungsprobleme, überraschenderweise aber auch Menschen mit chronischen Erkrankungen, die viele Arzt- und Klinikkontakte haben, sagte die Studienleiterin Doris Schaeffer, Direktorin des Instituts für Pflegewissenschaften an der Universität Bielefeld. Die vielfach bereitgestellten Informationen erreichten die Menschen offenbar nicht richtig. Oft gibt es Verständnisprobleme.
Für die Studie wurden 2000 Menschen persönlich befragt. Den meisten gelingt die Bewältigung einer akuten Erkrankung besser als Vorbeugung oder gesundheitsbewusstes Verhalten, bei dem mehr Eigeninitiative gefragt ist. Während 58 Prozent mit einer Krankheit sehr gut oder gut umgehen und sich informieren können, ist es beim gesundheitsförderlichen Verhalten umgekehrt: Knapp 61 Prozent sind dazu schon deshalb nicht in der Lage, weil sie die entsprechenden Informationen nicht haben oder diese nicht verstehen.
„Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz“
Dafür seien natürlich nicht allein die Ärzte verantwortlich, sagte Schaeffer. Andererseits sei der Arzt aber immer noch die wichtigste Anlaufstelle bei Fragen zur Gesundheit. In Deutschland gebe es die meisten, aber auch die kürzesten Arztbesuche. Andere Länder wie Kanada hätten mit mehr Zeit für das Patientengespräch bessere Erfolge und ein höheres Informationsniveau in der Bevölkerung.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe forderte „ein Recht auf Verständlichkeit“. Es sei nicht nötig, komplizierte Zusammenhänge so auszudrücken, dass Menschen sie nicht verstehen, sagte er. Gröhe hat die Schirmherrschaft übernommen für die Erarbeitung eines „Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz“, für den eine Expertenrunde bis Ende 2017 erste Vorschläge machen will.