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Maulwürfe und andere Merkwürdigkeiten

Ein neues Buch erzählt Geschichten über Beerdigungen – und darüber, was alles schieflaufen kann rund um Sarg, Urne und Grab. Pietätlos? Nein – aber überzeugen Sie sich selbst. Die Überschrift dieser Erzählung heißt „Hier piept‘s“

shara - Fotolia

Es ist dieses Piepen, das nach und nach alle irritiert. Sie stehen am Grab. Es ist keine große Gesellschaft. Karl hatte allein gelebt, und er ist allein gestorben. Aber er hatte ein gutes und ruhiges Leben, das ihm wohl gefiel. So berichteten die Nachbarn der jungen Pfarrerin. Und so stehen sie beieinander: die Geistliche, eine Handvoll Nachbarn und eine Cousine aus München. Dazu drei ehemalige Kollegen aus der Papierfabrik, in der Karl sein gesamtes Arbeitsleben verbracht hat. Alle tragen schwarz und auch der Himmel zeigt seine düstere Seite. Die Trauerfeier in der Kapelle war würdig und passend. Zum Schluss spielte der Bestatter das Lieblingslied von Karl per CD über die Lautsprecher ab: Biscaya vom James Last.
Jetzt hier am Grab, in der Stille, treffen sich die Blicke der Anwesenden. Denn es ist nicht mehr zu überhören. Es piept. Und zwar aus dem Grab, in das gerade der Sarg abgesenkt wurde. Die Trauergäste denken zunächst, sie täuschen sich. Auch die Pfarrerin lässt sich nichts anmerken. Aber sie hört ihn, den wiederkehrenden Ton.
Das kann kein Vogel sein. Nur, was dann? Eigentlich müssten nun noch das Vater Unser und der Segen folgen. Aber alle halten inne. Einige beginnen zu tuscheln. Nicht, dass da ein Handy mit im Sarg ist? Man hört ja die tollsten Geschichten. Manche haben Angst, lebendig begraben zu werden und lassen sich ein Telefon mit ins Grab geben. Aber Karl? Der hatte nicht einmal zu Lebzeiten ein Mobiltelefon und in der Wohnung bloß einen fest installierten Fernsprecher, den er kaum benutzte.
Doch die Trauergemeinde täuscht sich nicht. Der Ton ist da. Immer wieder. Regelmäßig, zirka alle zwanzig Sekunden. Die Pfarrerin nimmt sich ein Herz und spricht den Bestatter an: „Hören Sie das? Was ist das?“, flüstert sie ihm ins Ohr. Der sieht sie nur ratlos an. Trotz der Kühle bilden sich erste Schweißtropfen auf seiner Stirn. Auch er hört den schrillen Ton aus dem Grab, aber er hat keinen Schimmer, wo der herkommen könnte.
Die Pastorin wendet sich schließlich an die Trauernden: „Liebe Gemeinde! Wir sind alle gerade etwas irritiert. Aber lassen Sie uns nun Karl zuliebe mit Gebet und Segen schließen. Danach versuchen wir herauszufinden, was das Geräusch verursacht.“ Alle nicken andächtig, und so findet die Feierstunde ihren würdigen Abschluss. Aber danach geht niemand weg. In die Trauer mischt sich doch eine gewisse Neugier, was denn hier vor sich geht.
„Können Sie etwas herausfinden?“, fragt die Pfarrerin den Bestatter, während sie den Kragen ihres Talars ein wenig lockert. Vor allem möchte er den Sarg nicht noch einmal öffnen müssen – so viel steht fest. Also beugt er sich über das offene Grab und versucht, die Quelle des störenden Geräusches zu entdecken. Und er wird fündig.
Zumindest entdeckt er etwas, das seiner Meinung nach nicht ins Grab gehört. Es sieht aus wie ein Pilz mit einer Solarzelle oben drauf und steckt direkt neben dem Sarg. Ohne sich um seine Kleidung zu sorgen, legt sich der Bestatter an den Rand des Erdlochs und buddelt ein wenig mit den Händen, um dem Übeltäter auf die Spur zu kommen. Schließlich gelingt es ihm, das etwa 30 cm lange Gerät aus dem Lehm zu ziehen. Er steht wieder auf, befreit den Stab von Erde und weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll.
„Es ist ein Maulwurfschreck“, sagt er etwas zu laut für den traurigen Anlass. Aber er ist erleichtert, den Stein des Anstoßes ausfindig gemacht zu haben. Alle Trauergäste samt Pfarrerin sind noch da und müssen schmunzeln. „Vermutlich steckte der im Nachbargrab und ist dann mit dem Sarg nach unten gerutscht“, erklärt der Bestatter: „Sowas habe ich noch nie erlebt.“ Und allen Anwesenden ist klar, dass das Holz die Töne wohl noch verstärkt hat.
„Dabei mochte Karl es so gern ruhig“, sagt eine Nachbarin lachend. Und alle lachen mit. Sie schlendern gemeinsam zum Gasthof gegenüber, wo es jetzt Suppe und belegte Brötchen geben soll. Und sie erzählen sich noch einmal kopfschüttelnd diese Geschichte und manch andere Geschichte aus Karls Leben.
Der Bestatter aber nimmt sich vor, noch heute ein Gespräch mit dem Friedhofsgärtner zu führen. Und die Rechnung für seinen verdreckten Anzug würde er ihm auch gleich überreichen.

Bernd Becker/Gerd-Matthias Hoeffchen: Was weg ist, ist weg. Kuriose Beerdigungsgeschichten. Luther-Verlag, 136 Seiten, 12,95 Euro. Erhältlich beim Luther-Verlag, Bestell-Hotline (05 21) 94 40-137, Internet: www.luther-verlag.de.