Darmstadt (epd). Jürgen Micksch ist ein Marathonläufer für Menschenrechte. Immer freundlich und charmant im Auftreten, aber zielgerichtet und beharrlich in der Sache. Seit fast fünf Jahrzehnten engagiert sich der evangelische Theologe und Soziologe für gesellschaftliche Minderheiten wie Obdachlose und Flüchtlinge, die Überwindung von Rassismus und Antisemitismus sowie den Dialog der Religionen. An diesem Mittwoch feiert der agile Mann mit dem grauen Haarschopf und dem akkurat gestutzten Vollbart seinen 80. Geburtstag.
Wer könnte wohl berufener über das Thema Flucht, Vertreibung und Diskriminierung reden als Micksch selbst. Gerade vier Jahre alt, muss er mit seinen Eltern vor der heranrückenden Roten Armee aus dem schlesischen Breslau fliehen. Die Familie schlägt sich durch nach Österreich und weiter nach Niederbayern, wo sie von den Einheimischen nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird.
Die 1950er Jahre nehmen für das Flüchtlingskind eine wundersame Wendung. Bei einem Vorsprechen für eine Schultheateraufführung wird der neunjährige Sohn eines Konditors unter 40 Bewerbern ausgewählt und zum Kinderstar aufgebaut. Er gibt den «Jungen» in Fritz Kortners Inszenierung von «Warten auf Godot» an den Münchener Kammerspielen und den HJ-Führer Heini in dem Film «08/15». Er spielt mit dem
«normannischen Kleiderschrank» Curd Jürgens, mit Heinz Rühmann und Ingrid Bergman.
Mit 19 hat Micksch die Nase voll von der Glitzerwelt, «auch weil ich die Armut vieler Schauspieler hautnah miterlebt habe», wie er sagt. Er studiert Philosophie und Theologie unter anderem, «weil ich mich kritisch mit der Botschaft des Evangeliums auseinandersetzen wollte». Ab 1966 setzt er noch ein Soziologiestudium obendrauf.
Anschließend schlüpft er in jene Rolle, die ihm, so seine Überzeugung, am besten zu Gesicht steht: die des Seismographen für fremdenfeindliche und rassistische Tendenzen, des Kämpfers gegen Vorurteile und Stereotype, des Moderators und Mitgestalters von Integration.
Damit ist er seiner Zeit weit voraus, wie der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hervorhebt: Früher als viele andere habe Micksch verstanden, dass sich eine multikulturelle Gesellschaft vor allem an den Menschenrechten ausrichten und auch multireligiös sein müsse.
Bereits 1975 ruft Micksch den «Tag des ausländischen Mitbürgers» ins Leben, von 1974 bis 1984 baut er als damals jüngster Oberkirchenrat die Ausländerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland auf und formuliert 1980 die These von der Bundesrepublik als einer «multikulturellen Gesellschaft». Das trägt ihm Kritik und
Häme ein, nicht zuletzt von seiner Kirche. Trotzdem tritt er noch zweimal in ihren Dienst: von 1984 bis 1993 als stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing und anschließend bis 2001 als Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.
In seine Tutzinger Zeit fallen die Gründung des Münchner Straßenzeitungsprojekts «BISS» und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl. «Die Stimmung gegen Flüchtlinge und Asylsuchende war Mitte der 1980er Jahre vergiftet», erinnert sich Micksch. Es habe kaum jemanden gegeben, der sich für sie einsetzte.
«Das war empörend». Von Anfang an mit dabei war auch Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. «Ich bin unendlich dankbar, dass ich als junger Mensch mit Jürgen und Weggefährten Pro Asyl als unabhängige Stimme für die Menschenrechte von Flüchtlingen aufbauen durfte», sagt er.
Obwohl Pro Asyl rasch zahlreiche Unterstützer anlockt, kocht mit der wachsenden Zahl von Hilfesuchenden die fremdenfeindliche Stimmung in Deutschland immer mehr hoch und gipfelt schließlich Anfang der 1990er Jahre in eine Serie von Verbrechen. Um etwas dagegenzusetzen, gründete Micksch 1994 in Frankfurt am Main den Interkulturellen Rat. Aus ihm entwickelten sich das Abrahamische Forum und das Deutsche Islamforum, aber auch die Internationalen Wochen gegen Rassismus und
ab 2014 die Stiftung für die Internationalen Wochen, deren Geschäftsführer der Tausendsassa Micksch bis heute ist.