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Mann – Frau – und viel dazwischen

Foto-Ausstellung Auslöser für eine vertiefende Auseinandersetzung mit geschlechtlicher Vielfalt.

Im Februar regte die Ausstellung „,Max ist Marie‘ oder ,mein Sohn ist meine Tochter ist mein Kind‘“ der Fotografin Kathrin Stahl in der Dortmunder Stadtkirche St. Petri die Auseinandersetzung mit Trans­identität an: Was bedeutet es, wenn ein Mensch sich nicht mit dem nach außen hin definierten Geschlecht identifizieren kann? Welchen weiten Spielraum gibt die biblische Schöpfungstheologie, um geschlechtliche Vielfalt zu denken? Welche Lebensgeschichten sind mit Transidentität verbunden? Wie geht es Angehörigen, wenn sie von dem Empfinden und Sein ihres trans*-Kindes, ihres transidenten Lebenspartners und Geschwisters erfahren? Wieviel Leid wird erlebt? Wieviel Mut löst eine „Transition“, also ein Wechsel des sozialen Geschlechts, aus? Wie kann Kirche diese Lebensgeschichten begleiten?

Thema mit vielen Facetten verschiedentlich erörtert

Diese Fragen standen im Mittelpunkt der rahmenden Veranstaltungen, die vom landeskirchlichen Frauenreferat, der Koordinierungsstelle für Lesben, Schwule und Trans­idente der Stadt Dortmund und der Stadtkirchenarbeit St. Petri verantwortet wurden.
Bei einer öffentlichen Informationsveranstaltung im Februar kamen rund 120 Personen nach St. Petri in Dortmund. Der Journalist Vinzent Beringhoff beleuchtete das Thema von verschiedenen Seiten mit seinen Gesprächspartnern: Was Transidentität bedeutet, wurde exem­plarisch an den Video-Clips des Youtubers Thorben Rump verdeutlicht. Susanne Hildebrandt (Stadt Dortmund) und Natascha Zimmermann (Trans-Bekannt e.V.) brachten die rechtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge ein. Und während Pfarrerin Mareike Ginzel von „Queer in Kirche und Theologie“ (QuiKT)) die seelsorgliche und gottesdienstliche Begleitung von Transitionen veranschaulichte, berichtete die Therapeutin Judith Lichtenberg von ihren Erfahrungen in der psychotherapeutischen Arbeit mit trans*-Jugendlichen.  
Die pädagogischen Fragen wurden in einer weiteren Veranstaltung im Experten-Gespräch mit Pädagogen und Lehrern und der Beratungsstelle „sunrise“ erörtert.

Der 30. Westfälische Theologinnen Tag, ebenfalls im Februar, richtete seinen Fokus stärker auf die theologischen und kirchlichen Zusammenhänge: Der Theologe Gerhard Schreiber, Akademischer Rat am Institut für Theologie und Sozialethik der Technischen Universität Darmstadt, stellte Transidentität in das Spannungsverhältnis von Schöpfung, Christologie und Eschatologie: Die Hauptaussage des ersten Buchs Mose 1,27 besteht in der Gottebenbildlichkeit. Die geschlechtliche Ausdifferenzierung in männlich und weiblich ist dieser Grundbestimmung des Menschen nachgeordnet. In dieser Linie liegt auch das „Sein in Christus“ nach Galater 3,28, wo weder Mann noch Frau sind. Diese biblischen Aussagen bilden einen weiten Raum für geschlechtliche Vielfalt, die sich dem ausschließlichen Zuordnen als entweder Mann oder Frau entzieht.
In wechselnden Gesprächsrunden wurden unterschiedliche Aspekte vertieft: Die Mutter eines trans*-Kindes erzählte ebenso wie eine trans*-Frau von ihren Erfahrungen. Rechtliche und kirchenrechtliche Zusammenhänge kamen zu Wort. Seelsorgliche, gottesdienstliche und spirituelle Ebenen wurden ins Gespräch miteinander gebracht.

Ringen um Antworten auf neu aufgeworfene Fragen

Die Gedanken des Tages wurden mit einem Gottesdienst  zusammengebunden. Pfarrerin Christina Bergmann brachte das Transzendente und Geschöpfliche, das Geistliche und Geschlechtliche zusammen: „Zwischen-Wesen sind wir alle. Als religiöse Menschen gehört das Zwischensein zu unserem Wesen. Und das ist eindeutig uneindeutig. Genau das macht das Leben gerade bunt, spannend, überraschend, aufregend, reizvoll, interessant. Das Dazwischensein ist ein Wesenszug unserer Existenz. Zwischen Himmel und Erde, dem Ewigen und Zeiträumlichen, dem Verborgenen und Erscheinendem. Und dazwischen gibt es viel mehr als nur ‚entweder – oder‘. Da ‚singen‘ die Dinge. Gott hat den Menschen geschaffen. So, wie er ist. Männlich und weiblich und darüber hinaus.“
Die Auseinandersetzung mit Transidentität weitet den Blick und wirft neue Fragen auf. Um die Antworten wird gerungen werden müssen. Das Institut für Kirche und Gesellschaft wird Transidentität theologisch weiterdenken, kirchliche Zusammenhänge bearbeiten und sich im gesellschaftlichen Diskurs beteiligen.