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Loyale Dissidentin

Leben und Werk der vor 90 Jahren geborenen und 2011 gestorbenen Schriftstellerin Christa Wolf waren eng mit der DDR verbunden. „Der geteilte Himmel“ machte sie auch im Westen bekannt-

In der DDR galt sie wegen ihres ambivalenten Verhältnisses zur Heimat lange als „loyale Dissidentin“. Dem Staat, den sie so scharf kritisierte, blieb Christa Wolf (1929-2011) treu: „Wir hatten keine Alternative, in Westdeutschland wollten wir nicht leben“, sagte die Schriftstellerin in einem Gespräch mit ihrer Enkelin Jana Simon, das unter dem Titel „Sei dennoch unverzagt“ 2013 als Buch erschien.
Sie sparte nicht mit Kritik am Regime, doch sie zog den Sozialismus dem Kapitalismus vor. Wolf war aktiv im Wende-Herbst 1989 dabei, plädierte dabei aber für eine veränderte DDR: „Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg“, soll sie am 4. November auf dem Alexanderplatz gerufen haben.

In Ost und West gleichermaßen geschätzt

Der Schriftstellerin gelang etwas Besonderes: Obwohl ihr Leben und Werk so eng mit der DDR verknüpft waren, wurde sie in Ost und West gleichermaßen geschätzt. Am 18. März jährt sich der Geburtstag der „Grande Dame“ der Literatur zum 90. Mal.
„Wolfs Poetik bezeugt noch immer anschaulich, dass Literatur zum besseren Verständnis der Welt und zur aktiven Ausein­andersetzung mit ihr beitragen kann“, würdigt sie die Vorsitzende der Berliner Christa-Wolf-Gesellschaft, Therese Hörnigk. Die Autorin erzähle „von Hoffnungen und Ängsten des modernen Menschen“. Zwar würden ihre Bücher heute neu gelesen. Was jedoch bleibe, sei die literarische Stimme einer Autorin, die in ihren Büchern „die historischen Zusammenhänge individueller Selbstverwirklichung“ thematisiert habe.

Christa Wolf kam am 18. März 1929 im damaligen Landsberg an der Warthe zur Welt, dem heutigen polnischen Gorzow Wielkopolski. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs flüchtete sie mit ihrer Familie nach Mecklenburg und wurde 1949 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland, SED. Nach dem Germanistikstudium in Jena und Leipzig arbeitete sie als Lektorin und Redakteurin und ließ sich 1962 als Schriftstellerin in Kleinmachnow bei Berlin nieder. Seit 1951 war sie mit dem Kritiker und Autor Gerhard Wolf verheiratet, sie bekamen zwei Kinder.

Früh verknüpfte Christa Wolf gesellschaftliche Entwicklungen mit eigenen Erfahrungen. Der Roman „Der geteilte Himmel“ (1963), der anhand einer gescheiterten Liebe die Problematik des geteilten Landes schildert, brachte ihr den Durchbruch und ist ihr meistverkauftes Buch.
Das Buch und die Verfilmung machten die Autorin auch im Westen bekannt. Dann der persönliche Rückschlag: 1965 klagte das 11. Plenum des SED-Zentralkomitees etliche Künstler wegen Verstößen gegen Ethik und Moral an und verbot Filme, Bücher, Theaterstücke und Bands.

Wolf kritisierte die Kulturabteilung dafür, ging aber nicht unbeschadet aus der Debatte: „Ich wurde krank. Ich bekam eine richtige Depression im klinischen Sinne“, sagte sie später der Enkelin. Ihr wurde klar, „dass das, was wir uns unter Sozialismus vorstellten, in der DDR absolut in die falsche Richtung ging“. In der Folge schrieb Wolf die Erzählung „Nachdenken über Christa T.“ (1968), über die Marcel Reich-Ranicki sagte: „Christa T. stirbt an Leukä­mie, aber sie leidet an der DDR.“

Einfluss auf Friedens- und Frauenbewegung

Werke wie „Kein Ort. Nirgends“ (1979) oder „Kassandra“ (1983) wurden später zur Pflichtlektüre der Friedens- und Frauenbewegung in Ost und West. 1976 gehörte Wolf zu den Mitunterzeichnern des Offenen Briefs gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR – und wurde mit einer Rüge abgestraft. 1989 trat sie aus der SED aus, warb jedoch für den Fortbestand der DDR. Für ihre Reden, Offenen Briefe und Interviews erntete sie indes viel Kritik, so dass sie sich aus der Tagespolitik zurückzog.

Einen Literaturstreit entfachte 1990 ihr Buch „Was bleibt“, in dem sie mit autobiographischen Zügen die Überwachung durch die Stasi schildert. Die Auseinandersetzung verschärfte sich, als 1993 ihre eigenen Stasi-Kontakte bekannt wurden. Daraufhin veröffentlichte Wolf ihre Akte und belegte: Zwischen 1959 und 1962 fertigte sie als „IM Margarete“ drei Berichte mit positivem Bild der betroffenen Personen an.

Zuletzt veröffentlichte sie 2010 den Roman „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“, der auf ihrem USA-Aufenthalt 1992/93 am Getty Center in Los Angeles basiert. Wolf wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter der Georg-Büchner- und der Thomas-Mann-Preis. 2002 bekam sie den Deutschen Bücherpreis für ihr Lebenswerk, weil sie sich „mutig in die großen Debatten der DDR und des wiedervereinigten Deutschlands“ eingemischt habe. Wolf starb am 1. Dezember 2011 im Alter von 82 Jahren.