Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen eine Wiederaufnahme von Mordverfahren ist von den politischen Parteien unterschiedlich aufgenommen worden. Die Union sprach von einer “bitteren Entscheidung” für die Angehörigen von Mordopfern. FDP und Grüne lobten eine Stärkung des Rechtsstaats. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erklärte, Karlsruhe habe klargestellt, dass eine Mehrfachverfolgung von Tätern mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Die Politik müsse das respektieren.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte am Dienstag entschieden, dass freigesprochene Verdächtige nicht allein wegen neuer Beweise noch einmal für dieselbe Tat angeklagt werden können. Ein von der großen Koalition 2021 beschlossenes Gesetz, das eine Wiederaufnahme von Strafverfahren gegen rechtskräftig Freigesprochene bei schwersten Straftaten erlaubt, sei verfassungswidrig. Es gebe in der Verfassung eine absolute Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit gegenüber der materialen Gerechtigkeit, so die Richter. Es gebe keine Erforschung der Wahrheit um jeden Preis.
Der Gesetzgeber hatte 2021 eine Wiederaufnahme von Strafverfahren im Fall von schwersten Verbrechen wie Mord und bestimmten Völkerstraftaten möglich machen wollen. Damit sollten “unbefriedigende” oder “schlechterdings unerträgliche” Urteile korrigiert werden können. Im konkreten Fall ging es um einen Mann, dem vorgeworfen wird, 1981 eine Schülerin vergewaltigt und getötet zu haben. Das entsprechende Strafverfahren endete 1983 mit einem Freispruch. Wegen neuer Beweismittel sollte der Fall wiederaufgenommen werden. Die Verfassungsbeschwerde des Mannes hatte nun Erfolg.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings (CDU), erklärte zu dem Urteil, die Entscheidung des Verfassungsgerichts sei “bitter für die Angehörigen von Mordopfern”. “Ich hätte mir gewünscht, dass das Gericht die Belange der Familien der Opfer und der Allgemeinheit stärker gewichtet hätte.” Es sei zu befürchten, dass die Entscheidung auch negative Auswirkungen auf die Verfolgung von Kriegsverbrechen haben werde: “Jetzt werden deutsche Staatsanwälte noch vorsichtiger werden, ob sie beispielsweise ein russisches Kriegsverbrechen bei uns zur Anklage bringen, wenn hier nicht alle Beweismittel aus dem Kriegsgebiet optimal verfügbar oder erreichbar sind.”
Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr erklärte dagegen, die von der großen Koalition beschlossene Einschränkung des Mehrfachverfolgungsverbots habe den verfassungsrechtlichen Grundsatz missachtet, dass “durch ein rechtskräftig gesprochenes Urteil Rechtsfriede geschaffen wird”, sagte sie der “Welt”. “Eine Reform, die eine praktisch endlose erneute Verfolgung eines Freigesprochenen auf Grundlage neuer Beweise ermöglicht, ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.”