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Liebe: nötiger denn je

Andacht über den Predigttext zum 11. Sonntag nach Trinitatis: Galater 2, 16-21

Predigttext
16 Aber wir wissen, dass kein Mensch deshalb vor Gott als gerecht bestehen kann, weil er das Gesetz befolgt. Nur die finden bei Gott Anerkennung, die in vertrauendem Glauben annehmen, was Gott durch Jesus Christus für uns getan hat. Deshalb haben auch wir unser Vertrauen auf Jesus Christus gesetzt, um durch das Vertrauen auf ihn bei Gott Anerkennung zu finden und nicht durch Erfüllung des Gesetzes; denn mit Taten, wie sie das Gesetz verlangt, kann kein Mensch vor Gott bestehen. 17 (…) Soll das heißen, dass es nicht mehr auf gut und böse ankommt und demnach Christus der Sünde Vorschub leistet? Auf keinen Fall! 18 Vielmehr mache ich mich selbst zum Sünder, nämlich zum Übertreter des Gesetzes, wenn ich durch mein Verhalten das Gesetz zuerst für ungültig erkläre und es dann doch wieder in Geltung setze. 19 Das Gesetz hat nichts mehr von mir zu fordern: Es hat mir den Tod gebracht, deshalb bin ich für das Gesetz tot und lebe jetzt für Gott. Weil ich aber mit Christus am Kreuz gestorben bin, 20 lebe in Wirklichkeit nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Das Leben, das ich jetzt noch in diesem vergänglichen Körper lebe, lebe ich im Vertrauen auf den Sohn Gottes, der mir seine Liebe erwiesen und sein Leben für mich gegeben hat. 21 Ich weise die Gnade Gottes nicht zurück. Wenn wir vor Gott damit bestehen könnten, dass wir das Gesetz erfüllen, dann wäre ja Christus vergeblich gestorben! (Übersetzung: Gute Nachricht)

Diese Bibelstelle ist die Grundlage für die wohl wirkungsvollste Lehre der Kirche, die so genannte Rechtfertigungslehre. Luther entdeckte sie in seiner Zeit neu und stellte sie ins Zentrum der Theologie. Doch, ganz ehrlich, mit dem dahinterstehenden Weltbild kann ich nichts mehr anfangen. Ich glaube nicht, dass Jesus für meine Sünden die grauenvolle Hinrichtung am Kreuz erlitten hat. Ich bin auch nicht von der Frage getrieben, wie ich vor Gott gerecht werden kann. Es passt einfach nicht in mein Verständnis vom Leben und der Liebe Gottes. Ich glaube auch nicht, dass Jesus selbst seinen Tod so verstanden hat.
Menschen taten sich wohl schon immer schwer, mit der eigenen Mangelhaftigkeit umzugehen. Diese kann sich schließlich in schwere Vergehen auswirken. Sie waren sich ihrer Schuld bewusst und fragten sich, ob sie so vor Gott bestehen könnten. Dahinter steht die Angst vor einem Gott, der die Sünden bestraft – wenn es sein muss, mit dem ewigen Tod.
Das können die meisten von uns heute nicht mehr nachvollziehen. Und dennoch haben wir nach wie vor Probleme mit der Mangelhaftigkeit und Ungerechtigkeit des Lebens. Bis dahin, dass wir ahnen, der Mensch an sich könne so mangelhaft sein, dass er sich selbst als Lebensart auf diesem Planeten abschafft. Auch die Angst vor dem endgültigen Tod treibt uns dabei um. Wir versuchen den Menschen zu perfektionieren, unsere Lebenszeit so effektiv wie möglich auszukosten und so gut es geht auf „ewig“ zu verlängern. Vielleicht ist dies das „Gesetz“ unserer Zeit, das Versprechen, einen gerechten Menschen zu schaffen, dessen Fehler nahezu ausgemerzt sein werden.
Was mir bei Paulus gefällt, ist, dass er ein feines Gespür für den Kern der Botschaft Jesu hat. Es ist die Liebe Gottes, die jeder und jedem gilt, unabhängig von einer Leistung für Gott und die Welt. Für Jesus gilt diese Liebe auch unabhängig von der Religion und Weltanschauung des Menschen. Der Glaube, dass ich ein bedingungslos geliebtes Geschöpf des Lebens bin, ist etwas Wunderbares. Denn ich bin es, einfach weil ich da bin. Das macht mich stark und selbstbewusst. Es lehrt mich, achtsam mit meinen Fehlern und den Fehlern anderer zu sein. Es ist eine großartige Kraft, die Vergebung möglich macht.
Das hat Jesus mit seinem ganzen Leben gezeigt, nicht nur am Kreuz. Wenn ich diese Liebe in mir spüre und davon lebe, habe ich alles, was ich brauche. Dann kann ich auch dem Tod getrost entgegensehen, der das Leben und seine Mängel wandelt und zum Leben einfach dazugehört.
Diese Haltung uns selbst und allen Mitgeschöpfen gegenüber hat unsere Welt nötiger denn je zuvor. Aus ihr folgt ganz von selbst ein Handeln. Nicht um irgendjemand etwas zu beweisen oder die Welt zu retten, sondern aus der Freude heraus, das Leben mit Liebe zu wandeln.
Wir können und brauchen dabei nicht perfekt zu werden, nur besser. Fehler sind dazu da, zu lernen. Die Mängel des Lebens tragen dazu bei, es weiterzuentwickeln. Nichts ist perfekt und das ist gut so. Wir sind dadurch aufeinander angewiesen. Es ist notwendig, die Welt gerechter, aber auch fehlerfreundlicher zu gestalten. Am besten ist dies möglich im Vertrauen auf die Kraft der Liebe, die wir Christen Christus nennen. Dieser Kern der Lehre von der Rechtfertigung bleibt erstaunlich aktuell.