Seit fünf Jahren prangt der Erzengel Michael auf dem linken Unterarm von Michael Simonsen. Genauer gesagt: ein Abbild der Bronzestatue „Erzengel Michael besiegt den Satan“, die das Westportal der Hamburger Kirche St. Michaelis ziert, der Heimatgemeinde des evangelischen Pfarrers von Poing. „Ich fand Tattoos schon lange toll“, erzählt der 47-Jährige. 2018 schließlich ließ er sich in einer siebenstündigen Prozedur den Erzengel von einem koreanischen Tattoo-Künstler in Berlin unter die Haut stechen.
Das Motiv macht für Simonsen präsent, was ihm auch im Seelsorge-Alltag immer wieder begegnet: der Kampf zwischen Gut und Böse, die Suche nach dem „richtigen“ Handeln und die Frage, wie man im Leben seine hellen Seiten mit den dunklen in Einklang bringen kann. „Diesen Themen durch das Tattoo Präsenz zu verleihen, war und ist für mich wichtig“, sagt der Pfarrer.
Die Motive und Geschichten von Körperbildern interessieren den Theologen, der eine Zusatzausbildung in systemischer Lebensberatung hat. Mithilfe von Tattoos zwei Kulturen zusammenzubringen – die von Kirche und Spiritualität mit der von Jugend- und Körperkultur – findet er reizvoll. Deshalb startete Simonsen via Instagram einen Aufruf und suchte Tattoo-Storys, die unter die Haut gehen. Aus den Einsendungen ist eine Foto-Ausstellung entstanden, die ab Dienstag (9. April) im Evangelischen Forum München zu sehen ist.
Simonsen hatte sich eine eigene Mailadresse bei der Landeskirche besorgt: An tattoo@elkb.de konnten Interessierte ein Foto ihres Tattoos und die Kurzgeschichte dazu senden. „Vom fingernagelgroßen Herz bis zum Ganzkörpertattoo war alles erwünscht“, sagte der Initiator. Berührungsängste hat er dabei keine. „Das ist wie in der Seelsorge: Wer immer sich von dem Angebot angesprochen fühlt, ist willkommen“, sagt der Pfarrer.
Er wolle mit einem nicht-bildungsbürgerlichen Impuls aus der Kirche überraschen und mit der geplanten Ausstellung einen „intimen Einblick gewähren in Themen, die Menschen unter die Haut gehen“. Schließlich seien es oft die einschneidenden Ereignisse wie Geburt und Tod und Lebensthemen wie Trauer, Liebe oder Hoffnung, die Menschen dazu bewegen, sich ein Tattoo stechen zu lassen.
Dass Kirche und Tattoo zusammenpassen, davon ist Simonsen überzeugt. Schon die koptischen Christen im Orient hätten sich durch ein tätowiertes Kreuz auf der Unterseite des Handgelenks von ihrer Umgebung abgesetzt. Und die Tradition der Pilgertattoos geht je nach Quelle bis ins 16. oder sogar 13. Jahrhundert zurück: Während Jakobspilger eine Muschel aus Santiago de Compostela mitbrachten, ließen sich die Jerusalem-Pilger nach ihrer Ankunft ein Jerusalem-Kreuz oder einen Stern von Bethlehem unter die Haut ritzen – als Nachweis ihrer Pilgerfahrt.
Auch Simonsen hat die älteste Tätowierstube der Heiligen Stadt besucht. Sein zweites Tattoo zeigt die hebräischen Worte aus dem Buch Jesaja, Kapitel 55: Ihr sollt in Freuden ausziehen und in Frieden geleitet werden. „Das ist ein bisschen der Gegenpol zum Erzengel“, sagt der Pfarrer und lacht. Gut möglich, dass der Bibelvers nicht Simonsens letztes Tattoo bleibt. „Als Exil-Hamburger wäre ein Segelschiff schon noch schön“, verrät er. (00/1026/28.03.2024)