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“Last Man to Die” – Die Geschichte hinter dem berühmten Kriegsfoto

Der letzte Tote des Zweiten Weltkriegs: Unter diesem Titel wurde eine Fotoserie von Robert Capa weltbekannt. Entstanden ist sie in Leipzig. Im Interview spricht Simon Raulf über Bilder und Erinnerungen an das Kriegsende.

Vor 80 Jahren, am 18. April 1945, entstand in Leipzig ein berühmtes Foto. “Last Man to Die” zeigt einen toten US-Soldaten auf dem Balkon eines Leipziger Wohnhauses, erschossen von deutschen Heckenschützen. Fotograf Robert Capa galt zu diesem Zeitpunkt bereits als Legende. Die Identität des Toten blieb dagegen jahrzehntelang ein Geheimnis. Im Jahr 2011 rettete eine Bürgerinitiative das Haus vor dem Abriss und machte den Namen bekannt: Raymond J. Bowman.

Heute erinnert das “Capa-Haus” mit der Dauerausstellung “War is Over” des Stadtgeschichtlichen Museums nicht nur an Capa und das berühmte Bild, sondern auch an das Schicksal seiner Partnerin Gerda Taro, die 1937 als Fotoreporterin im Spanischen Bürgerkrieg ums Leben kam. Ab Mittwoch ist dort zudem die Sonderausstellung “Wege der Befreiung: Vom D-Day bis zum Elbe-Day” zum 80. Jahrestag des Kriegsendes zu sehen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert Projektmanager Simon Raulf, was dahinter steckt. Im Hauptberuf arbeitet Raulf als Lektor für den Verlag Hentrich & Hentrich, der ebenfalls im Leipziger Capa-Haus sitzt.

Frage: Herr Raulf, was ist das Besondere am Capa-Haus in Leipzig?

Antwort: Hier wird das Ende des Zweiten Weltkriegs sehr greifbar, weil sich in diesem Haus ein Ereignis abgespielt hat, das durch eine Fotoserie von Robert Capa berühmt geworden ist. Auf einem Balkon dieses Hauses wurde der US-amerikanische Soldat Raymond J. Bowman durch einen deutschen Heckenschützen erschossen. Die Bilderserie, die Capa von dem sterbenden Soldaten machte, ging unter dem Titel “Last man to Die” um die Welt – auch wenn es sich natürlich nicht um den letzten Soldaten handelte, der in diesem Krieg zu Tode kam.

Frage: Für was steht Capas Bilderserie?

Antwort: Sie liefert einen eindrücklichen Blick auf des Kriegsende, auf die Gewalt und den Tod, obwohl der Krieg in Europa sich zu diesem Zeitpunkt dem Ende näherte. Ich glaube, dass viele Menschen von dem Anblick des jungen Soldaten berührt sind, weil uns sein Tod einerseits sinnlos erscheint, er andererseits mit seinem Einsatz zur Befreiung vom Nationalsozialismus beigetragen hat.

Frage: Capa war nicht der einzige, der zum Kriegsende in Leipzig und Umgebung fotografiert hat.

Antwort: In den letzten Wochen des Krieges waren in Leipzig und Umgebung einige Fotografen im Schlepptau der amerikanischen Truppen unterwegs. Es war klar, dass bald darauf Sowjets und Amerikaner zum ersten Mal auf deutschem Boden aufeinandertreffen würden. In Leipzig und zum Beispiel in Torgau an der Elbe oder bei der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald entstanden mehrere im Nachhinein ikonographische Aufnahmen. Teilweise verfolgten die Fotografinnen und Fotografen direkt das Kampfgeschehen; teilweise sollten sie Kriegsverbrechen der Deutschen dokumentieren. Capa war nur einer von ihnen; in Leipzig war beispielsweise auch Lee Miller tätig.

Frage: Trotzdem dauerte es fast 70 Jahre, bis die Geschichte des Capa-Hauses erzählt werden konnte. Beinahe wäre es abgerissen worden. Warum?

Antwort: Dieser Teil der Geschichte war lange Zeit gar nicht präsent. Das dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass die Übergabe des Territoriums an die Sowjetunion noch im Jahr 1945 erfolgt ist. Die einseitige Erinnerungspolitik der DDR trug dazu bei, dass das Kapitel der US-amerikanischen Befreiung lange verschlossen blieb. Letztlich war es dann eine Bürgerinitiative, die mit sehr viel Einsatz für den Erhalt dieses Ortes gekämpft hat. Und das macht auch den speziellen Charme des Hauses aus.

Frage: Besucher können sich jetzt mit einer von Ihnen konzipierten Sonderausstellung “Wege der Befreiung” sowie auf der dazugehörigen Website auf die Spuren der US-Amerikaner begeben: vom “D-Day” in der Normandie bis zum “Elbe-Day”, dem Handschlag mit den Sowjets bei Torgau. Ist das nicht alles schon zigmal erzählt worden?

Antwort: Wir leben in Zeiten, in denen es Kriege gibt, die näher an uns gerückt sind, als wir jemals dachten. Zugleich ist es inzwischen 80 Jahre her, dass der Zweite Weltkrieg endete. Die letzten Zeitzeugen werden bald nicht mehr unter uns sein. Die Sonderausstellung will dazu ermutigen, sich mit dem Thema Krieg auseinanderzusetzen. Nachvollziehbar soll aber auch werden, was Befreiung vor 80 Jahren hieß. Wer befreite wen? Was haben die jungen US-Soldaten vorgefunden, wenn sie einen Ort befreit haben? Manchmal gab es Kämpfe bis zuletzt, woanders fanden friedliche Übergaben statt.

Frage: Können Museumsbesucher eigentlich auch den Balkon besichtigen, auf dem Capa sein berühmtes Foto machte?

Antwort: Nein, das geht leider nicht, denn er gehört zu einer Privatwohnung. Davon abgesehen wurde er nach den ursprünglichen Plänen bei der Renovierung des Hauses rekonstruiert und wieder angebaut. Es ist also nicht mehr der originale Balkon.