Die Musikgeschichte des 20. Jahrhundert soll umgeschrieben werden: Das neue Forschungsprojekt „NS-Verfolgung und Musikgeschichte“ widmet sich in den kommenden 18 Jahren der Verfolgung von Musikerinnen und Musikern durch das nationalsozialistische Regime und deren weltweite Folgen. Vom 1. Januar 2025 bis zum 31. Dezember 2042 will das Projekt die Geschichtsschreibung vor dem Hintergrund der NS-Verfolgung revidieren und vervollständigen, teilte die Akademie der Wissenschaften Hamburg am Montag mit.
Für das Projekt kooperieren die Akademie, die Universität Hamburg und die Hochschule für Musik und Theater München. Im Rahmen des Akademienprogramms der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften wird das Langzeitvorhaben mit insgesamt 7,9 Millionen Euro gefördert.
Die Verfolgung von Musikerinnen und Musikern durch das NS-Regime habe „massiv, dauerhaft und weltweit auf das immaterielle Kulturgut Musik eingewirkt“, hieß es. In Deutschland ebenso wie in den annektierten und besetzten Ländern sei es zu erheblichen Verlusten gekommen, im Exil aber auch zu produktiven Entwicklungen in allen Bereichen des Musiklebens. Die Exilmusik-Forschung habe Ende der 1970er Jahre begonnen, doch in welchem Ausmaß die musikalische Praxis zerstört wurde, ist laut Akademie noch nicht ausreichend erforscht.
Vor allem die langfristigen Konsequenzen aus der Zwangsmigration von Musikerinnen und Musikern seien „in weiten Teilen unerschlossen“, hieß es. Die herrschende Sicht auf die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts beziehe diese globalen Verwerfungen zu wenig ein. Im Zentrum der Grundlagenforschung des Projekts stehe die Frage, welchen Beitrag Verfolgte zum Musikleben der Zwischenkriegszeit geleistet hätten Auch die Zwangsmigration und das Wirken der vertriebenen Musikerinnen und Musiker an den wichtigsten Zielorten solle erschlossen werden, ebenso die Dynamik zwischen den Geflüchteten und den Musikkulturen der Exilländer und ihre Folgen bis in die Gegenwart.
„Die Forschung zur NS-Verfolgung von Musikern und Musikerinnen wird damit auf eine ganz neue Grundlage gestellt – in intensiver Zusammenarbeit mit den internationalen Initiativen zum Thema“, sagte Projektleiter Friedrich Geiger von der Hochschule für Musik und Theater München. Die Kooperation von Universität und Musikhochschule gewährleiste einen produktiven Austausch zwischen Wissenschaft und künstlerischer Praxis. „Für beide Bereiche ist genaueres Wissen über die Dimensionen der Zerstörung und ihre langfristigen globalen Konsequenzen nötiger denn je – gerade angesichts zunehmender Bedrohung durch autoritäre Regime“, sagte Geiger.