Erwachsene Kinder sollten ihre Eltern nicht für deren Verhalten kritisieren. Wer glaubt, Vater und Mutter bekommen ihren Alltag alleine nicht mehr bewältigt, solle lieber seine Sorge um sie zur Sprache bringen, sagt Familientherapeutin und Coach Birgit Lambers aus Heiligenhaus (Nordrhein-Westfalen) im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Themen wie eine mögliche Heimunterbringung im hohen Alter sollte der Nachwuchs frühzeitig gegenüber den Eltern ansprechen. Die weitverbreitete Meinung, dass alte Menschen kein Auto mehr fahren sollten, teilt die Autorin des Buches „Wenn die Eltern plötzlich alt sind: Wie wir ihnen helfen können, ohne uns selbst zu überfordern“ nicht.
epd: Woran merken erwachsene Kinder, dass ihre Eltern Hilfe benötigen?
Birgit Lambers: Sie sehen, dass ihre Eltern den Alltag nicht mehr bewältigt bekommen. Oder dass sie Dinge zu tun beginnen, die den Kindern merkwürdig vorkommen. Kindern fällt das ganz besonders auf – weil es nicht zu dem Bild passt, das sie von ihren Eltern bis dato hatten. Dabei besteht fast immer eine Kluft zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung, d.h. Kinder definieren den Hilfsbedarf meist viele Jahre, bevor die Eltern es selbst so sehen. Diese könnten antworten: „Wir gehören noch lange nicht zum alten Eisen, wir schaffen das alleine.“
epd: Wie sollten Kinder ein solches Gespräch beginnen – und wie lieber nicht?
Lambers: Viele Kinder beginnen das Gespräch mit etwas, das sich wie ein erhobener Zeigefinger anhört, im Sinne von „Du kannst nicht…, du sollst nicht…, du musst…“. Dagegen wehren sich die Eltern. Und das tun sie zu Recht, denn es klingt nach Bevormundung. So sollten Kinder auf keinen Fall vorgehen. Stattdessen sollten sie ihr wahres Motiv thematisieren: nämlich, dass sie sich um ihre Eltern Sorgen machen. Das ist ein guter Türöffner, auch wenn die Eltern wahrscheinlich antworten werden: „Brauchst du nicht, mein Kind, hier läuft alles super.“ Kinder können auf diese Weise immerhin schon einmal ihr Anliegen platzieren, ohne dass sich ihr Gegenüber sofort verschließt.
epd: Wie geht es dann weiter?
Lambers: Die Kinder sollten keinen Druck aufbauen. Halten Sie beispielsweise eine Putzhilfe für sinnvoll, dann könnten sie sagen: „Tut mir den Gefallen und probiert das einfach mal 14 Tage aus. Wenn es nichts für euch ist, lassen wir es danach wieder.“ Eltern können sich so auf die Sache einlassen, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Die Erfahrung zeigt, dass viele es schnell als schön empfinden, dass da plötzlich jemand zum Quatschen ist, also ein sozialer Kontakt.
epd: Was, wenn die Eltern den Vorschlag ablehnen?
Lambers: Ein Gespräch mit dem Hausarzt könnte helfen. Der ist für die ältere Generation oft noch eine Autoritätsperson, weshalb er bei Seniorinnen und Senioren oft mehr erreicht als deren eigene Kinder.
epd: Wie erklären Kinder ihren Eltern, dass diese nicht mehr Auto fahren sollen?
Lambers: Überhaupt nicht. Erstens, weil sie nicht das Recht dazu haben, und zweitens, weil hierfür in der Regel kein Anlass besteht. Viele Menschen sind der Meinung, dass Senioren ab einem bestimmten Alter das Autofahren per se sein lassen sollten, aber dafür gibt es keinen Grund. Ein Mensch Mitte 80 hat laut Statistik das gleiche Risiko, einen Unfall mit Personenschaden zu verursachen wie ein Fahranfänger. Niemand würde auf die Idee kommen, dem jungen Menschen seinen Führerschein wegnehmen zu wollen. Senioren die Fahrerlaubnis zu entziehen, wäre altersdiskriminierend. Manche können auch mit 90 Jahren noch Auto fahren, solange sie im Training sind und medizinisch keine Einwände bestehen.
epd: Was, wenn der Nachwuchs das anders sieht?
Lambers: Frage ich Kinder, woran sie festmachen, dass zum Beispiel ihr Vater nicht mehr Auto fahren kann, dann stelle ich fest, dass 99 Prozent von ihnen es gar nicht wirklich wissen. Am einfachsten wäre es, den Eltern Fragen zu stellen und so das Thema sanft zu platzieren: „Papa, wofür nutzt du das Auto? Wohin fährst du noch? Und welche Idee hast du für den Fall, dass du vielleicht irgendwann nicht mehr fahren kannst?“ Kinder sollten empathisch sein und klarstellen: „Ich will dir da überhaupt nicht reinreden.“
Im Übrigen ist das Leben insgesamt wild und gefährlich, die Eltern könnten auch von der Leiter fallen. Sie vor ihrem eigenen Leben zu bewahren, ist schlichtweg nicht möglich.
epd: Wie sollten sich Kinder verhalten, wenn sie bei ihren Eltern eine beginnende Demenz vermuten?
Lambers: Ich rate immer zu einer ärztlichen Diagnose. Das ist in diesem Fall nicht einfach, weil ein Mensch mit beginnender Demenz sich meist mit Händen und Füßen gegen eine Untersuchung wehrt – weil er selber ahnt, was mit ihm los ist. Gerade in der ersten Phase gibt es ja noch die sogenannten Lichtblicke, d.h. die betroffene Person sieht sich selbst aus der Vogelperspektive und erkennt die Tragik dessen, was da gerade mit ihr passiert.
Ein Weg könnte darin bestehen, im Gespräch nicht das Schreckenswort Demenz in den Mund zu nehmen. Das Kind könnte sagen: „Es gibt viele Krankheiten mit solchen Symptomen, die man behandeln kann.“ Es sollte seinen Elternteil motivieren, das einfach mal abchecken zu lassen, vielleicht sogar in Begleitung. Sollte der Arzt dann tatsächlich eine Demenz diagnostizieren, lässt sich deren Verlauf mit Medikamenten vielleicht verlangsamen.
epd: Wie sollten Kinder ihren Eltern sagen, dass sie eine Heimunterbringung für erforderlich halten?
Lambers: Sie sollten das Thema möglichst früh ansprechen und dabei zunächst einmal klarmachen, dass sie selbst nicht die Pflege der Eltern übernehmen werden. Das zu thematisieren, davor haben Kinder oft Angst, aber es muss klar ausgesprochen werden.
Die Kinder sollten ihren Eltern Fragen stellen wie: „Habt ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht, was aus euch werden soll, wenn ihr nicht mehr alleine leben könnt?“ Als Antwort werden sie wahrscheinlich zu hören bekommen: „Darum können wir uns kümmern, wenn es so weit ist.“ Das ist verständlich, immerhin fordern sie ihre Eltern auf, sich über den schlimmsten Fall der Fälle Gedanken zu machen. Ein Fall, von dem die Eltern im Übrigen gar nicht wissen, ob er sie überhaupt jemals ereilt – vielleicht legen sie sich abends kerngesund ins Bett und wachen am nächsten Morgen einfach nicht mehr auf.
Kinder sollten sagen, dass sie das Thema beschäftigt, sie besorgt sind und es sie beruhigen würde, wenn es einen Plan gäbe. Sie könnten vorschlagen, gemeinsam mit ihren Eltern unverbindlich Altenheime anzuschauen. Und sie könnten ihre Eltern bitten, dass diese sich mit anderen Senioren aus dem Bekanntenkreis zu dem Thema austauschen. Wichtig ist, den Eltern sehr, sehr viel Zeit zu lassen und das Thema immer wieder in kleinen Häppchen anzusprechen.
epd: Und wenn die Eltern erwarten, dass ihre Kinder sie pflegen?
Lambers: Diese Kinder haben es sehr, sehr schwer. Wenn die Eltern sagen: „Das ist deine Pflicht! Guck mal, was wir alles für dich getan haben!“, dann weckt das in den Kindern einen moralischen Teil, der ihnen sagt: „Vielleicht haben meine Eltern gar nicht so unrecht.“ Sie sollten sich aber weiter darüber im Klaren sein, warum sie sich gegen die eigene Pflege der Eltern entschieden haben. Kinder, die womöglich selbst kleine Kinder haben, berufstätig sind und entfernt von den Eltern leben, können Pflege nicht leisten – das ist einfach nicht möglich. Deshalb gilt es, zusammen mit den Eltern zu schauen, welche Alternativen es gibt.