Wie ist das, eine Welt zu erschaffen?
Carlo Feber: Sehr anstrengend! Es kostet viel seelische und physische Energie und viele, viele Stunden am Schreibtisch. Wenn ich ein Buch fertiggeschrieben habe, bin ich völlig ausgelaugt.
Andererseits ist es erfüllend und macht glücklich, neue Welten zu erfinden. Ich fühle mich dabei ein bisschen wie ein Magier. Und ich habe die Möglichkeit, mit meinen Figuren in ein Stück Leben hineinzuschlüpfen, das ich selbst nicht leben kann.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich mir eine Person ausdenke, versetze ich mich in Situationen, die ich selbst nie erleben werde: Ich kann zum Beispiel eine Mutter sein, in einem anderen Jahrhundert Hofintrigen ausfechten, anders denken und fühlen, als ich es hier und heute als Carlo Feber tue. Dabei bekommt man eine Ahnung von der unglaublichen Vielfalt des Lebens und der Welt.
Fühlen Sie sich beim Schreiben ein bisschen wie Gott?
Vielleicht wie der Gott der Romanfiguren … (lacht). Als Schriftsteller kann ich natürlich Figuren einfach erfinden und ihr Schicksal bestimmen, indem ich ihnen zum Beispiel eine Liebesgeschichte andichte. Aber ich kann sie nicht völlig willkürlich handeln lassen. Bei mir dauert der kreative Vorlauf für einen Roman etwa ein halbes Jahr. Während dieser Zeit nehmen meine Figuren immer mehr Gestalt an. Später werden sie eigenständig und folgen ihrer inneren Logik – und ich als Autor laufe und schreibe ihnen hinterher.
Sie können also nicht völlig frei entscheiden, was in Ihren Romanen passiert?
Nein, denn Schöpfung ist immer auch eine Festlegung: Wenn ich etwas in einen Raum setze, ist damit etwas anderes ausgeschlossen. Ein Krimi, der in der Champagne spielt, kann nicht einfach plötzlich nach Deutschland verlegt werden; eine Handlung im Mittelalter passt nicht ins 19. Jahrhundert. Das gilt sogar für Science Fiction: Wenn ich mir eine Welt ausdenke, in der die Siriusianer Stickstoff atmen, kann ich sie nicht problemlos die Erde mit ihrer Sauerstoffluft erobern lassen.
In dem Moment, in dem ich als Autor entscheide: So soll es sein – bleibt es so. Und die Kunst ist, dass die Konsequenzen, die sich aus diesen Festlegungen ergeben, ein in sich stimmiges System bilden. Natürlich kann ich immer noch kreativ damit umgehen und etwa eine neue Nebenfigur einführen – die verhasste Erbtante vielleicht oder eine Buddy-Figur, die den Hauptcharakter unterstützt. Aber je länger der Schreibprozess voranschreitet, desto geringer werden meine Spielräume.
Ist es denn möglich, sich völlig in eine Romanfigur hineinzudenken – zum Beispiel in eine Magd, die im Mittelalter lebt?
Natürlich nicht zu 100 Prozent – als Mensch des 21. Jahrhunderts glaube ich zum Beispiel nicht an Magie, wie die Menschen des Mittelalters, oder sehe in allem einen göttlichen Funken. Aber ich kann mich dieser Frau annähern. Einmal, indem ich über die Lebensbedingungen und -gefühle ihrer Zeit recherchiere, und außerdem, indem ich beim Schreiben versuche, mich so gut wie möglich einzufühlen in ihr Schicksal. Es macht die Qualität guter Autorinnen und Autoren aus, dass man diese Spannung zwischen Abstand und Nähe beim Lesen immer spürt. Worte sind ja ganz allgemein das Mittel, mit dem Menschen sich einander annähern, ohne je ganz zu wissen, wie der oder die andere denkt und fühlt.
Für einen Autor, der im „leichten“ Genre des Krimis unterwegs ist, sind das ziemlich philosophische Gedanken…
Es ist eine schwere Kunst, leicht zu sein! Das wird in Deutschland völlig unterschätzt. Über harte Themen zu schreiben, ist dramaturgisch viel einfacher. In einem leichten Genre die Leserinnen und Leser bei der Stange zu halten, ist ganz schön schwer, obwohl es ja im Grunde um dieselben Themen geht: Verlogenheit, Gier, Eifersucht… Es ist darum für uns Künstler hilfreich, auch bei leichten Themen, ein bisschen über die Theorie von Sprache und Schreiben nachzudenken. Daraus erwachsen Impulse.