Artikel teilen:

Klimaökonom über Schwarz-Rot: “Es braucht eine komplexere Antwort”

Der Leipziger Klimaökonom Reimund Schwarze vermisst im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine konsistente Strategie für Klima- und Naturschutz. „Es ist ein ‘Weiter so’ der großen Koalition vor vier Jahren“, sagte der Professor vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die künftige Regierung habe in ihrem Papier erkennbar zahlreiche Kompromisse geschlossen, diese ließen jedoch viele Fragen offen. Am Mittwoch hatten Union und SPD ihren 144-seitigen Koalitionsvertrag vorgestellt.

Die Gaskraftwerksstrategie sei der einzige „erkennbare Eckstein“ einer klima- und energiepolitischen Linie, die in der neuen Regierung konsensfähig erscheine, sagte Schwarze. Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD 20.000 Megawatt neue Gaskraftwerke an bestehenden Standorten bauen. Das zusätzliche Angebot soll auch zur Senkung der Strompreise beitragen. Die Strategie ist nicht unumstritten: Gaskraftwerke stoßen deutlich weniger CO2 aus als Braunkohlekraftwerke, bleiben aber klimapolitisch problematisch.

Mit der klaren „merkelianischen“ Fokussierung auf Gas habe die Regierung es geschafft, kontroverse Diskussionen etwa über einen Wiedereinstieg in die Atomkraft, wie zuletzt von der Union gefordert, oder drastische Einschnitte im Verkehrssektor zu vermeiden, sagte Schwarze. Eine überzeugende Strategie, wie das Klimaziel für 2040 erreicht werden soll, erkenne er im Koalitionsvertrag jedoch nicht. Dafür brauche es heute „eine deutlich komplexere Antwort als vor vier Jahren“, betonte der Klimaökonom. Deutschland muss ab 2045 klimaneutral wirtschaften. Bis 2030 müssen die Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 um 65 Prozent sinken, bis 2040 um 88 Prozent.

Kritisch sieht Schwarze den Umgang mit dem Thema Renaturierung: „Es bleibt völlig unklar, wie die neue Regierung das Grunddilemma lösen will: Wie viel Raum geben wir der Natur zurück?“ Zur Umsetzung der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur fehle jede Aussage, auch Flächenkontingente würden nicht benannt. Auch den Klimaschutz von Wäldern und Mooren gebe es keine erkennbare Strategie. Ebenso bleibe der bekannte Zielkonflikt „Tank oder Teller“ zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Energieerzeugung ungelöst. Im Koalitionsvertrag heiße es dazu lediglich, dass die künftige Regierung „Biogasanlagen eine Zukunft geben“ wolle.

Die Zuständigkeit für das Thema Klima wandert in der neuen Regierung zurück ins Umweltministerium – anders als in der Ampel, wo es auf mehrere Ressorts verteilt war. Für Schwarze ist das nicht zwangsläufig ein Rückschritt: „Auch auf dem internationalen Parkett wird man Deutschland ohne Klimaquartett von Wirtschafts-, Außen-, Umwelt- und Entwicklungsministerium ernst nehmen – vorausgesetzt, die neue Regierung bleibt inhaltlich auf Kurs.“ Er regt jedoch an, das Klimakabinett, das 2019 unter der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeführt wurde, wiederzubeleben, um eine ministerienübergreifende Strategie zu ermöglichen.