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Klar sehen

Für den Letzten Sonntag nach Epiphanias: 2. Korinther 4,6-10

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Predigttext
6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. 7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. 8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. (…) 10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

In der vergangenen Woche hat die Berliner Stadtreinigung die Weihnachtsbäume abgeholt. Auch unser Baum war dabei. Auf seinen inzwischen vertrockneten Zweigen klebten noch Reste von Kerzenwachs. Als ich ihn an den Straßenrand legte, wurde mir etwas wehmütig ums Herz: Schade, dass das Fest vorüber ist. Dass die Lichter erloschen sind. Dass „O du fröhliche“ und „Ich steh an deiner Krippen hier“ nun für ein Jahr Pause haben. Aber ich spürte auch Aufbruchsstimmung: Weihnachten und das alte Jahr sind vorüber. Und Neugier: Welche Erfahrungen und Herausforderungen mag das begonnene Jahr bereithalten?

Paulus schaut zurück bis zum Anfang

In diese zwiespältige Stimmung hinein höre ich Worte des Apostels Paulus. Auch er schaut zunächst zurück, allerdings nicht mit wehmütigem, sondern mit mutigem Blick: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten …“
Paulus schaut zurück. Weit zurück. Zurück bis zum Anfang der Welt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war…“ (1. Mose 1,1ff.) Paulus holt so weit aus, um uns noch einmal das Wunder von Weihnachten sehen zu lassen: „…der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“ Kein Geringerer als der Schöpfer des Himmels und der Erde hat sich zu uns aufgemacht. Kein Geringerer als der Schöpfer des Lichtes hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben. Keinen Scheinwerfer, der grell und unbarmherzig auch noch den letzten Winkel des Herzens ausleuchtet, sondern einen hellen Schein. Den Schein, von dem wir mit Paul Gerhardt gesungen haben: „Ich lag in tiefster Todesnacht, / du warest meine Sonne, / die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. / O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht‘, / wie schön sind deine Strahlen!“ (EG 37,3)
Und dann schaut Paulus nach vorn: „…dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ Die beiden Worte „durch uns“ stehen nicht im griechischen Urtext; Martin Luther hat sie beim Übersetzen hinzugefügt. Der helle Schein in unseren Herzen lässt uns also zunächst einmal selbst klar sehen. Seit Weihnachten können wir Gott erkennen. Können den erkennen, der den Himmel und die Erde und das Licht und uns Menschen erschaffen hat. Wer Gott ist, das erfassen wir, wenn wir Jesus Christus ins Gesicht schauen…
In Kürze werden wir – wieder mit Worten Paul Gerhardts – von dem Angesicht Jesu Christi singen: „Du edles Angesichte, / davor sonst schrickt und scheut / das große Weltgewichte: / wie bist du so bespeit, / wie bist du so erbleichet! Wer hat dein Augenlicht, / dem sonst kein Licht nicht gleichet, / so schändlich zugericht?“ (EG 85,2)

Nach Weihnachten finden wir Gott ganz unten

Die Herrlichkeit Gottes erkennen wir in dem schändlich zugerichteten, dem schmerzverzerrten, dem bespuckten Angesicht Jesu Christi. Der Schöpfer des Himmels und der Erde gibt sich in dem leidenden und sterbenden Jesus Christus zu erkennen. Damit ist klar, wo Gott auch in der Zeit nach Weihnachten zu suchen ist: Ganz unten. In den vom Tod gezeichneten Gesichtern der Sterbenden. In den tränenüberströmten Gesichtern der Trauernden. In den erwartungsvollen Gesichtern der Flüchtlinge…
Weil Christen in diesen Gesichtern Gott erkennen, machen sie auch andere Menschen darauf aufmerksam und tun mit ihnen gemeinsam das Nötige. Deshalb ergänzte Martin Luther beim Übersetzen die Worte „durch uns“.