157 Stufen geht es hinauf, vorbei an Glocken und niedrigen Balken, dann ist das Ziel erreicht: Knarzend öffnet sich eine alte Holztür und gibt den Panoramablick frei auf die Weltkulturerbestadt Regensburg. „Wenn man den Aufstieg geschafft hat und die Freiheit spürt, eine alte, ehrwürdige Stadt von oben erblicken zu können, das hat etwas Einzigartiges“, sagt Türmer Jochen Wollenweber.
In 32 Metern Höhe präsentiert sich von der achteckigen Aussichtsplattform aus eine besondere Häuser- und Dachlandschaft der mit Türmen gesegneten, mittelalterlichen Stadt. An klaren Tagen reicht der Panoramablick bis zu der von König Ludwig I. erbauten Ruhmeshalle Walhalla und manchmal sogar bis in den Bayerischen Wald.
30.000 Menschen besteigen pro Jahr den Kirchturm, der acht Stockwerke gen Himmel führt. Jochen Wollenweber hütet seit 22 Jahren den Schlüssel für den Aufgang zum Nordturm der evangelischen Dreieinigkeitskirche. Das Amt hat eine lange Tradition. Jahrhundertelang wachten die Türmer Tag und Nacht über die Sicherheit der Bewohner. Heute werden die Türmer meistens im Rahmen des Tourismus beschäftigt. Nur noch eine Handvoll Orte in Bayern leistet sich die Tradition des Türmers.
In Regensburg mussten Einheimische und Touristen lange auf diesen Fernblick warten. Erst vor 25 Jahren wurde der insgesamt 53 Meter hohe Kirchturm für Besucher geöffnet – und ist bis heute der einzig begehbare Glockenturm in Regensburg. Der Dom ist zwar mit 105 Metern um einiges höher, aber nicht öffentlich zugänglich. Den schönsten Blick auf den Dom habe man ohnehin von der evangelischen Kirche aus, sagte einmal der katholische Bischof.
Dass man der Dreieinigkeitskirche aufs Dach steigen kann, war mehr oder weniger Zufall, erzählt der Türmer. Bei der Sanierung der Kirche im Jahr 2000 führte eine Transportgondel den Glockenturm hinauf, die auch Besucher vorübergehend nutzen konnten. Weil die Begeisterung für den Rundblick groß war, entschloss sich die evangelische Kirche, den Turm zu öffnen.
Möglich macht dies ein Team von etwa 30 Leuten. Sie alle setzen sich ehrenamtlich dafür ein, dass von Mittwoch bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr die Kirche samt Glockenturm zu sehen ist. Die meisten von ihnen sind Hobbyhistoriker oder Rentner. Klaus-Peter Ruess ist einer von ihnen. Die „geheimnisvolle Magie“ des Kirchenraums habe ihn veranlasst, beim Türmer-Team mitzumachen, sagt er. Seit 17 Jahren ist der gebürtige Hamburger nun schon dabei.
Besonders schwärmt er von der altehrwürdigen Glocke, an der man beim Aufstieg vorbeikommt. Beinahe wäre sie in den letzten Kriegstagen 1945 eingeschmolzen worden, konnte aber noch gerettet werden. Eingebrannt ist die Jahreszahl der Entstehung: 1630. Das war kurz vor der Eröffnung der Kirche mitten im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648).
Heute ist der Kirchturm eine Art „Leuchtturm oder Aushängeschild“ für das evangelische Regensburg, sagt der Dekanatsfundraiser Martin Weindl. Viele Besucher könnten kaum glauben, „dass im vermeintlich katholischen Regensburg eine so große evangelische Kirche zu finden ist“. Um auf den Turm zu gelangen, müssen Besucher durch den prächtigen Kirchenraum hinauf zur Turmstube gehen.
Auch im Nördlinger Turm, dem „Daniel“, ist ein Türmer-Team am Werk. Drei hauptberufliche Kräfte und ein paar Teilzeitkräfte setzen sich dafür ein, dass der 90 Meter hohe Kirchturm der evangelischen St. Georgskirche in Nördlingen (Kreis Donau-Ries) bestiegen werden kann. Früher wohnten die Türmer in der sogenannten Turmstube.
Noch heute ruft halbstündlich zwischen zehn und zwölf Uhr ein jeweils diensthabender Türmer vom „Daniel“ sein „So, Gsell, so“ in die Nacht. 50.000 Besucher besteigen den Turm laut Stadtverwaltung pro Jahr. Die Aussichtsplattform befindet sich auf etwa 70 Metern Höhe. 350 Stufen gilt es zu bewältigen, um einen Rundumblick auf die historische Altstadt und über das Ries zu erhalten.